Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Ursache. Er läßt meinen Geist sich nicht erquicken, sondern macht mich voll Betrübnis. Will man Macht, so ist er zu mächtig; will man Recht, wer will mein Zeuge sein? (Hiob 9,13–19)
Daß Attar, um das Hiobsmotiv zu entfalten, die Geschichten vorzugsweise von anonymen Asketen, vor allem aber von Verrückten handeln läßt, ist kein Zufall: Bei historischen Figuren der islamischen Mystik sind Rücksichten zu nehmen auf die Quellen und die tradierte Vorstellung ihres Charakters; manche Scheichs haben zwar über Gott gejammert und in einzelnen Äußerungen gegen Ihn protestiert, aber keiner von ihnen hat Gott offen und dauerhaft zum Feind erklärt. Keiner von ihnen ist wie jener Narr in Rey beim Gebet in lautes Muhen ausgebrochen,[ 67 ]und wenn einer es doch getan hat, galt er deswegen noch nicht als Ketzer, aber doch wie Loqman as-Sarachsi als närrisch. Dieser soll im 11. Jahrhundert als alter, ehrwürdiger Sufi-Scheich Gott gebeten haben, freigelassen zu werden wie ein Sklave nach langem Dienst. Gott gewährte ihm die Bitte. Das Zeichen der Freiheit aber war, daß Loqman den Verstand verlor. Seither ist er einer der berühmtesten unter den vielen närrischen Weisen, welche die sufische Literatur zugleich belächelt und verehrt.[ 68 ] Ihnen hat die islamische Kultur die Freiheit zugebilligt zu freveln, und die Provokation Attars liegt daher nur zum Teil in ihren Worten, sondern vor allem auch darin, daß er stets ihre Nähe zu Gott betont und ihnen eine höhere Erkenntnis Seines Wesens bescheinigt. Eben weil sie das Ausmaß des Unheils übersehen, wissen sie, daß es nur einem Allmächtigen zuzuschreiben ist. «Wer anders sollte es tun», wie es Hiob sagt (9,24). Im «Buch Gottes» bittet ein armer Narr, dem nicht einmal ein Hemd auf dem Leibe geblieben ist, Gott um ein Leintuch, seine Blöße zu bedecken.
– Ich werde dir ein Leintuch geben, ruft die göttliche Stimme: dein Totenhemd.
– Ja, ich kenne Dich und weiß, wie Du mit Deinen Sklaven umgehst, empört sich der Narr: Ein hilfloser Mann muß erst sterben, daß Du ihm ein Leintuch gibt![ 69 ]
Die Motive Hiobs dürften in keinem anderen islamischen Text so zentral, so vielfältig variiert sein wie im «Buch der Leiden»: das Motiv der Existenzverwünschung, des Leidens an des langen Lebens Tod, vor allem aber die notgeborene Wendung gegen Gott und der Appell, endlich zu halten, wozu Er sich den Menschen gegenüber verpflichtet hat. Der Vorwurf des Rechtsbruchs, der Hiobs Klage zugrunde liegt, kehrt im «Buch der Leiden» unter anderem als Vorwurf gegen Gott wieder, entgegen seiner koranischen Verpflichtung nicht für den Unterhalt (rizq) der Menschen zu sorgen. Die Erzählung des Dornensammlers, der um Unterhalt bittet, nur um von Gott an der Nase herumgeführt zu werden, habe ich bereits angeführt. Daß es den Menschen hier tatsächlich um eine gleichsam juristische Verpflichtung geht, der Gott nicht nachkommt, wird noch deutlicher in einer Anekdote, in der Er es ausnahmsweise tut. Ein Narr, der gefragt wird, warum er heute gegen alle Gewohnheit nicht auf Gott schimpft, sondern sogar betet, antwortet:
– Gott hat mich gestern ausnahmsweise einmal satt gemacht, und wenn Er sich benimmt, benehme ich mich auch. (27/11, 252)
So wie die Narren Attars sich fragen, warum Gott sie so quält, wenn nicht aus schierem Sadismus, ahnt Hiob nicht, warum Gott ihn ins Elend stürzt; Hiob fragt und fragt, ohne Antwort zu erhalten, bis auch er schließlich denken muß, daß es Gott einfach Freude macht, Seinen Knecht zu quälen.
Verdamme mich nicht! laß mich wissen, warum du mit mir haderst. Gefällt dir’s, daß du Gewalt tust und mich verwirfst, den deine Hände gemacht haben, und bringst der Gottlosen Vorhaben zu Ehren? (Hiob 10,1–3)
Die Menschen in Attars Kosmos kündigen die Geduld auf, sie lassen sich nicht mehr vertrösten. Ein hungriger, verzweifelter Narr weint bitter über sein Schicksal.
– Habe Geduld, armer Kerl, tröstet ihn jemand: Gott, der den Himmel ohne Säulen geschaffen hat, wird dir helfen.
– Ach, mag Er doch hundert Säulen benötigen, um den Himmel zu befestigen – wenn er es nur verstünde, mir ein einziges Brot zu geben. (22/10, 219f.)
Gott ist den Narren ein solcher Unheilstifter, daß sie die Mitmenschen von Ihm abhalten wie am kuriosesten wohl jener eben erwähnte Narr im «Buch Gottes», der das Freitagsgebet durch lautes Muhen stört. Im «Buch der Leiden» ist es ein einst besonders rechtgläubiger Kaufmann aus Attars
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