Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
vorher von der Hand Gottes sprach, die so schwer auf ihn drückt. So wie Hiob ringen auch Attars Menschen mit Gott, der nicht nur wütet, sondern zugleich und ebenso fürchterlich schweigt.
Je weiter der Schütze ihn zurückzieht,
Um so tiefer trifft dich der Pfeil. (0, 12)
– Gibt es etwas, was den Gottkundigen von Gott absperrt? wird Bayezid gefragt.
– Du Armseliger, antwortet der heilige Mann: Was sollte den absperren, dessen Absperrung Er selber ist![ 103 ]
In den «Vogelgesprächen» schildert Attar, wie Bayezid Gottes Königshalle vollkommen leer vorfindet.
– Es gehört zur Majestät dieses Ortes, daß die Bettler Unserer Tür fern bleiben.[ 104 ]
In ihrer Hoffnung, Gott könne sich für sie interessieren, gar ihre Liebe erwidern, sind die Menschen lächerlich wie jene Wanze, die auf einer Platane lebt. Nach einem Jahr will sie weiterziehen und entschuldigt sich bei der Platane für die verursachte Mühe. Da macht sich die Platane über die Wanze lustig:
– Spar dir lieber selbst die Mühe, dich zu bedanken. Ob du da bist oder nicht, das ist mir einerlei, das merke ich nicht einmal. (13/4, 161)
Jede Regung, die Gott dem Menschen zuteil werden ließe, wäre gut, selbst das Schimpfwort kostbar (33/5, 298) – wenn Gott sich dem Menschen doch nur zuwandte. Madschnun wird nach seinem Lieblingswort gefragt.
– Mein Lieblingswort ist Nein.
– Warum denn das, warum nicht die Bejahung?
– Ein einziges Mal habe ich mit Leyla sprechen dürfen. Da habe ich sie gefragt, ob sie mich liebt. Nein, hat sie geantwortet. Seitdem liebe ich dieses Wort mehr als alle anderen. (39/4, 352)
Noch die Beschimpfung ist ein ersehnter Akt der Mitteilung, selbst die schlechteste Behandlung stellt eine Art von Beziehung her, oder wie es Ahmad Ghazali sagt: Wenn der Bogenschütze dich treffen will, muß er dich anschauen: «Suchst du ein Ziel? Hier ist mein Herz.»[ 105 ]
Damit Gott ihn beachtet, nimmt der Mensch in Kauf, verlacht, entblößt, vertrieben oder ungläubig zu werden wie der altehrwürdige Scheich Sanan, der nach der vielleicht bewegendsten, jedenfalls berühmtesten Geschichte der «Vogelgespräche» in höchster Askese und ebenso hohem Ansehen im heiligen Bezirk von Mekka lebt, bis er sich in ein Christenmädchen verliebt. Daraufhin entläßt er seine Jünger und gehorcht blind ihren demütigenden, nichts als die Demütigung bezweckenden Befehlen: Er gibt sich dem Wein hin, verbrennt den Koran, fällt vor dem Kreuz nieder, reist der Familie des Mädchens nach und endet schließlich als Schweinehirt der Christenfamilie in Rom, um sich in der Selbstverleugnung zu finden.[ 106 ] Attar stellt Sanan nicht als Heiligen vor, der vom Glauben abgefallen sei. Der Scheich ist heilig, indem er abfällt und in seiner Liebe bis zu dem geht, was ihm das Äußerste ist; er wird verehrt in seiner Abtrünnigkeit. In den «Vogelgesprächen» sagt Attar:
Wer fest in der Liebe gründet,
Kommt über Unglauben und Islam hinaus.[ 107 ]
In solchen Verhältnissen gerät über den Glaubensverlust und die Selbstaufgabe hinaus die Vernichtung zur ultimativen Begegnung. Ein Mann aus dem Volk verliebt sich in einen schmucken Prinzen. Ohne Hoffnung, je in die Nähe seines Geliebten gelangen zu können, versteckt er sich auf dem Schießplatz, wo der Prinz allmorgendlich Bogenschießen übt. Genau auf die Stelle, wo sich der Pfeil des Prinzen in die Erde bohren muß, legt sich der Mann hin. Der Prinz schießt, und die Erde färbt sich vom Blut des Getroffenen rot. Der Prinz eilt zu dem Mann.
– Warum hast du das getan? fragt er bestürzt.
– Damit du mir die Frage stellst, antwortet der Mann: Ach, wenn ich nur hundert Leben hätt’, um sie deinem Pfeil zu schenken, haucht er und stirbt. (32/1, 286ff.)
Natürlich ist da auch Lust im Spiel, da ist Schönheit und Begehren. Schrecken und Anziehung des Geliebten bedingen sich gegenseitig, ja, sie sind oft identisch. Schönheit in solcher Vollkommenheit übersteigt die Kräfte des Menschen – weshalb Baudelaire sie sich ohne «Unglück dabei gar nicht vorstellen kann».[ 108 ] Als Mose vom Berg Sinai zurückkehrt, liegt der Glanz Gottes auf seinem Gesicht, so daß jeder, der ihn anschaut, erblindet (27/12, 252f.).
Häufig ist das Erleben, von dem Attar spricht, tödlich und lustvoll zugleich. Es wird nicht nur beklagt, sondern an vielen Stellen auch gesucht und genossen. Man kommt davon nicht los – und mag es einen umbringen.
Sieben Meere trink aus und
Weitere Kostenlose Bücher