Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
stirb
Vor Sehnsucht nach einem weiteren Tropfen. (0, 14)
Sechzig Jahre sang David den Psalter so herrlich, daß den Zuhörern der Verstand verging, der Fuß das Gehen vergaß, die Blätter der Bäume sich in Ohren verwandelten, das Wasser zu fließen und die Vögel zu fliegen aufhörten. Jeder hatte Freude, von Trauer keine Spur. Eines Tages aber traf David des Schicksals Schlag, und er sang fortan nur noch Trauerlieder. Da starben alle, die ihm zuhörten, vierzigtausend Menschen an der Zahl, so daß Gott selbst ihm Vorhaltungen machen mußte.
Seit Adam suchten wir des Glaubens Schmerz,
Damit zu schmücken die Welt. (33/1, 295f.)
Attar verschärft nicht nur Hiobs Klage, sondern ebenso die Passion Jesu Christi, besingt er doch das Martyrium als Lust, als Gnade und Auszeichnung. Wie Baudelaire sagt:
Je sais que la douleur est la
noblesse unique
Ich weiß: Ein einziger Adel ist,
das Leiden,
Où ne mordront jamais la terre
et les enfers,
Den Erde nicht und Hölle nicht
zerfrißt,
Et qu’il faut pour tresser ma
couronne mystique,
Und daß des Weltalls Fronzins
nötig ist,
Imposer tous les temps et tous
les univers.
Um meine Stirn mit heiligem
Kranz zu kleiden.[ 109 ]
Sogar Georg Büchner, dessen Texte zwischen Anklage und Leugnung Gottes hin- und herpendeln, scheint in seinen letzten Lebenstagen zu einem entschieden religiösen Verständnis des Leidens gekommen zu sein, indem sich die grundlegende Antinomie seines Werkes auflöst: «Wir haben», soll er auf dem Totenbett gesagt haben, «der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch die Schmerzen gehen wir zu Gott ein!»[ 110 ] Die Lust am Schmerz, die Büchner zuvor im Satz von Jesus als dem feinsten aller Epikureer benannt hat, kommt bei Attar konzentrierter zum Ausdruck als je bei einem Autor der persischen Literatur. Ein Liebender ist im Begriff auf die Wallfahrt zu gehen und fragt seine Geliebte, ob sie einen Auftrag für ihn habe. Die Geliebte ergreift augenblicklich einen Ziegelstein und schmeißt ihn mit aller Kraft auf den armen Mann. Der küßt den Ziegelstein, bindet sich ihn um den Hals und bricht selig nach Mekka auf (33/6, 298).
Nicht wenige von Attars Protagonisten feilschen regelrecht mit Gott oder der Geliebten, die Ihn verkörpert, um den Schmerz, den Er oder sie ihnen bereiten möge; sie sind bereit, auf alles zu verzichten, nur nicht auf diese Qual.
Einen Schmerz hab’ ich, groß wie die Welt.
Will noch mal so viel, nehm’ notfalls ein Darleh’n darauf. (0, 15)
Der Schmerz wird zum Selbstzweck: Wer nicht verwundet ist, kann auch nicht geheilt werden. Der närrische Heilige Loqman as-Sarachsi hält in der einen Hand einen Stein, in der anderen einen Zunderschwamm, der Wunden kühlt. Mit dem Stein schlägt er sich den Kopf blutig, mit dem Schwamm lindert er den Schmerz.
Wie kannst du dir Ruhe vom Freund erhoffen,
Wenn seine Schläge dich nicht zuvor in Aufruhr versetzten? (9/5, 130)
Ein Novize ruft immerfort Gott an in tausend Namen. Dem Scheich wird das zuviel, und er befiehlt dem Schüler, endlich Ruhe zu geben, Gott habe überhaupt keine Namen: Wie immer der Schüler Gott nenne, seien es nur Namen für ihn selbst, den Schüler, und was immer der Schüler über Gott zu wissen glaube, gebe Auskunft nur über ihn selbst. Gott sei weder zu benennen noch zu studieren, sondern allein durch den Schmerz zu erfahren:
Von Ihm ein Atom des Schmerzens in deinem Herzen
Ist besser als alles, was du in beiden Welten je findest. (0, 14)
Die Schmerzensbejahung reicht so weit, daß einzelne ihre Geliebte gar nicht sehen wollen, als diese überraschend auf ihr Begehren antwortet – daß sich die Liebenden abwenden, weil sie sonst glücklich würden und nicht mehr leiden könnten, ist doch das Leiden an der Liebe tausendfach süßer, weil tiefer empfunden als jede Liebkosung. Ein Weiser bittet Gott, bei der Auferstehung alle anderen Menschen zu blenden, damit Er sich nur ihm und niemand anderem zeige. Dann besinnt er sich und sagt:
– Mach mich blind am Jüngsten Tag, damit ich nach Deiner Schönheit giere. (37/6, 333)
Im Schmerz um den Geliebten verwandelt sich der Schmerz selbst zum Geliebten, um dessen Huld der Liebende wirbt.
O Schmerz, meine Medizin bist du,
Seele meiner Seele, mein Glaube und Unglaube,
Legst du auch hundert Berge auf mich,
Du selbst bist es, deine Seele, der sie trägt.
Wer bin ich schon, solchen
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