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Der Schrecken verliert sich vor Ort

Der Schrecken verliert sich vor Ort

Titel: Der Schrecken verliert sich vor Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Held
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Sekunde des Erkennens verfügte. Das konnte Freude sein, auch Schreck. Wenn das Gesicht böse war, wäre es mit ihnen zu Ende.
    Sie saß eine Stunde auf der Bank im Augarten auf der großen Allee. Die meisten Menschen hatten es eilig. Ein Leierkastenmann mit schwarzem Zylinder blieb vor ihr stehen und spielte, weil sie jedes Stück beklatschte, eine viertel Stunde nur für sie. Walzer für die gute Laune. Sie gab ihm fünf Mark, er nahm alle Währungen. Als er weiterzog, ließ sie den Zufall entscheiden. Wenn in der nächsten halben Stunde mehr Frauen als Männer an ihr vorbeigingen, würde sie in der Rauscherstraße 37 klingeln. Sie sah auf die Uhr, es war halb vier. Lange kam niemand und dann, als wollte der Zufall sie foppen, zwei Paare. Dann führte ein Mädchen einen Hund spazieren und eine Mutter schob einen Kinderwagen, in dem das Kind nicht zu erkennen war. Lena sah auf die Uhr. Noch zehn Minuten und kein Mensch mehr auf der Allee. In den letzten Minuten bogen zwei alte Männer aus dem Nebenweg in die Allee ein und ein Junge rannte einem Mädchen mit einem angeleinten Hund hinterher. Die Zeit war um. Lena stand auf. In der Wallensteinstraße nahm sie ein Taxi und sagte: Zum Bahnhof bitte. Am nächsten Morgen schickte sie eine Postkarte nach Wien: Sag mir, was zu Dir gehört und für mich nicht zu ertragen ist.
    Geliebter Schatz, schrieb Heiner, komm nach Wien. Ich werde von Halluzinationen geplagt. Vor zwei Tagen stand mir das Herz still, weil ich aus dem Fenster eine Frau sah, die Dir zum Verwechseln ähnlich war. Ein verrückter Hut, Dein schneller Gang. Sie ist aus dem Park gekommen und Richtung Wallensteinstraße gegangen. Beinahe wäre ich ihr nachgelaufen.

Schau dich um, sagte Heiner, ich schlag die Sahne.
    Seine Küche war ein schmaler Schlauch, sauber und aufgeräumt. Über einem schmalen Frühstückstisch hing ein Stilleben. Auf einem Bett aus Karotten, Sellerie und Lauch lag ein toter Fasan mit gebrochenen Augen. Die Krallen gespreizt, aus dem offenen Schnabel kroch eine nackte Schnecke. War dies das »Etwas«, von dem er sich nicht trennen wollte?
    Wer putzt bei dir, fragte Lena.
    Ich selber.
    Das Bad war grün gestrichen. Lena kam sich vor wie in einem Aquarium. In einem Steintopf standen zwei Haarbürsten. Wieso zwei? Er benutze Seife aus Lavendel, sie roch an seinem Rasierwasser. Sandelholz. So rochen sein Gesicht und sein Hals. In einem Glas steckten vier Zahnbürsten, wieso vier? Die Möbel sahen nicht nach einem 45jährigen Mann aus, eher, als habe er die Einrichtung geerbt. Im Wohnzimmer stand ein schweres Sofa, Biedermeier, frisch bezogen mit dunkelgrünem Samt. Über der Lehne hing, ordentlich gefaltet, eine babyblaue Wolldecke. Bücher stapelten sich in den Regalen, standen als Türme auf dem Boden, lagen aufgeschlagen auf der Fensterbank, den Stühlen, dem Tisch. Auf der Anrichte entdeckte sie ein verknittertes Foto in einem Silberrahmen, ein verlegen lächelndes Mädchen mit blonden Zöpfen und Zahnspange. Das Halmaspiel auf dem Couchtisch sah aus, als hätten zwei Menschen die Partie mittendrin abgebrochen. Schwarze und rote Männchen ballten sich in der Mitte des Spielfeldes, es war nicht klar, wer gewinnen würde. An der Wand hing eine Kuckucksuhr.
    Mit welchem Kind spielst du Halma?
    Mit mir, sagte Heiner oder gegen mich, kommt drauf an, wer gewinnt.
    Lena ging ins Esszimmer. Heiner hatte den Tisch mit einem alten Service gedeckt, weißes Porzellan mit einem schmalen Goldrand. Er hatte Sahne geschlagen, zwei Thermoskannen Kaffee auf den Tisch gestellt und ein Blech mit Pflaumenkuchen. Es gab keine sieche Mutter, keine Katzen, keine Schlangen.
    Warst Du im Schlafzimmer, fragte Heiner, wenn nicht, dann geh und schau. Stand dort der geheimnisvolle Gegenstand, von dem er sich nicht trennen wollte? Vorsichtig öffnete sie die Tür.
    Der Raum war in warmes Licht getaucht, als würde hier die Abendsonne untergehen. Heiner hatte fünf kleine Lampen über den Boden verteilt, eine stand unter dem Bett, eine hinter dem Ohrensessel, zwei auf dem Kleiderschrank und eine auf der Fensterbank. Mitten im Zimmer stand ein halbes Ehebett, übersät mit frischen Rosenblättern.
    Willkommen im Himmel, sagte Lena.
    Heiner nahm sie in den Arm: So soll unser Leben sein.
    So, so. Ein Leben mit indirekter Beleuchtung.
    Auch hier war nicht das, wonach sie suchte.
    Was ist es, was zu dir gehört wie dein Kopf und dein Herz und ich nicht ertragen werde.
    Später, sagte Heiner, lass uns jetzt Kaffee

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