Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
sie fliehen konnte?«
»Nein, ich glaube, sie wurde in Dannys Wohnung gefilmt. Die Leichenflecke deuteten darauf hin, dass es sich um den Tatort handelte. Wir reden hier schließlich nicht über Stanley Kubrick. Die cineastische Qualität steht auf der Liste dieser Leute nicht wirklich weit oben. Wir reden über Abschaum, Kreaturen der übelsten Sorte. Ich glaube, sie haben den Film dort in der Wohnung gedreht und sie erwürgt. Dann kommt Danny nach Hause, sieht, was passiert ist, und nimmt die Beine in die Hand. Sie verfolgen ihn, erschießen ihn, und das war’s.«
»Und Sie glauben, dass McKee dabei seine Hände im Spiel hatte?«
»Ich vermute, dass es sich bei McKee um den Lieferanten handelt. Er ist der Mann in der Jugendbehörde. Er weiß, wie die Mädchen aussehen. Er hat den Überblick. Er kann sich sogar mit ihnen treffen, verdammt. Manchmal werden Adoptiveltern und Pflegekinder so oft und von so vielen Leuten besucht, dass sie nachher gar nicht mehr wissen, mit wem sie überhaupt gesprochen haben. Und selbst wenn er ihnen nicht persönlich begegnet ist, so wusste er doch, wo sie sich aufhielten, wo sie wohnten. Er könnte ihnen gefolgt sein, noch mehr Fotos gemacht oder sie mit seinem verdammten Handy gefilmt haben. Dann reicht er sie an irgendwen weiter, der die Entführung, den Film und den Mord übernimmt. Er bekommt eine Art Kopfprämie, ist mit der ganzen Angelegenheit nur durch Indizien in Verbindung zu bringen, und keiner merkt etwas. Die einzige Verbindung zwischen den Mädchen besteht in dem roten Nagellack, der ungewöhnlichen Kleidung sowie der Tatsache, dass sie adoptiert wurden – und dem Jugendamt. Alles in allem eine dünne Verbindung, und deswegen konnte es über mindestens zwei Jahre so laufen, ohne dass irgendwer etwas gemerkt hätte.«
»Vielleicht«, stimmte Radick zu.
Parrish lächelte sarkastisch. »Wie ich immer sage: Es ist so lange ein Vielleicht, bis es etwas anderes ist.«
»Also müssen wir uns sein Haus vornehmen.«
»Was wir ohne substanziellen, begründeten, belastbaren Verdacht nicht dürfen. Wie Sie schon sagten, bisher sind wir über ein Vielleicht nicht hinausgekommen.«
»Wir müssen Lavelle dazu bringen, uns die Namen der Fälle zu nennen, mit denen McKee im Augenblick befasst ist.«
»Er ist zu clever. Er wird niemanden ans Messer liefern, mit dem er direkt zu tun hat, das ist klar. Ich vermute, dass es sich da, wo er tatsächlich mit den späteren Opfern in Berührung kam – bei Treffen mit den zukünftigen Eltern oder wenn er Fälle der Kollegen zu begutachten hatte –, um Zufälle handelte. Von Mädchen, für die er direkt zuständig ist, hält er sich ganz bestimmt fern.«
»Was können wir dann tun?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es noch nicht. Aber ich arbeite daran, Jimmy, ich arbeite daran.«
»Ich habe das Gefühl, als würden wir nie den Tod einer Tochter aus reichem Hause untersuchen, stimmt’s? Alle Opfer sind ungleich, oder?«
Parrish runzelte die Stirn. »Wo haben Sie diesen Spruch her?«
»Keine Ahnung … muss wohl irgendwer mal gesagt haben. Warum?«
»Nur so. Mein Vater hat diesen Spruch häufiger gebraucht. Auch bei der Feuerwehr geht er um. Sie müssen praktisch nie die Häuser reicher Leute löschen.«
»Wir haben die Gesellschaft geschaffen …«
»Einen riesigen Misthaufen haben wir geschaffen.«
»Da will ich Ihnen nicht widersprechen, Frank. Ganz bestimmt nicht.«
61
Es war sieben Uhr, und Parrish fühlte sich innerlich zerrissen. Etwa eine Stunde zuvor hatte er Radick nach Hause geschickt. Vom Büro aus rief er bei Eve an. Wieder meldete sich nur ihr Anrufbeantworter. Seit zwei Wochen hatte er keine Nachricht hinterlassen. Er fragte sich, ob sie inzwischen endgültig die Nase voll von ihm hatte und seine Anrufe bewusst ignorierte. Bei ihr vorbeizuschauen kam nicht infrage. Sie arbeitete, das war alles. Sie arbeitete hart in dem Job, den sie sich gesucht hatte, und sparte Geld für den Zeitpunkt, an dem sie wegziehen und sich in Tuscarora niederlassen würde, um hinter einem weißen Gartenzaun Flammenblumen zu säen. Parrish lächelte in sich hinein. Als ob das je passieren würde.
Auf dem Weg nach Hause kehrte er im Clay’s ein. Er trank zwei Kurze und ein einziges Glas Bier. Dann ging er zu einer Pizzeria und bestellte sich eine Pizza mit Peperoni, Ziegenkäse und Jalapeño. Die Hälfte verspeiste er zu Hause in der Küche, ehe er überhaupt die Jacke ausgezogen hatte. Als es halb neun wurde, war ihm klar,
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