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Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Ellory
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Höhe an der Wand auf der rechten Seite. Der Karton stand gut zehn Meter von der Einmündung entfernt, und während Radick dort den Boden absuchte, atmete Parrish tief durch und machte sich bereit, dem entgegenzutreten, was irgendjemand dort für ihn zurückgelassen hatte.
    Zwei Meter von der Kiste entfernt zog er Latexhandschuhe über. Er spürte die ersten spärlichen Regentropfen und fluchte innerlich.
    »Jimmy!«, rief er zum Eingang der Gasse hin. »Besorgen Sie von irgendwoher ein paar Taschenlampen und eine Abdeckplane. Es fängt an zu regnen. Sprechen Sie mit jedem, den Sie auftreiben können, und finden Sie heraus, wer die Container leert. Wir brauchen den Fahrer von heute Morgen hier vor Ort. Und finden Sie heraus, wo, zum Teufel, die Spurensicherung steckt.«
    Radick hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und trat an den Kofferraum ihres Wagens.
    Wieder zögerte Parrish. Ohne Taschenlampe war es schwierig, bis auf den Boden des Behälters zu schauen. Er wartete, bis Radick wieder an der Einmündung der Gasse auftauchte, und ging ihm entgegen.
    »Die Plane ist unterwegs«, erklärte Radick und reichte Parrish eine Taschenlampe.
    Parrish ging den Weg zurück, den er gekommen war, und suchte den Boden rund um die Kiste herum ab, entdeckte aber nichts Bedeutsames. Er trat an die Ecke der Kiste und betrachtete aufmerksam die obere Klappe, wo mithilfe einer Schablone eine Seriennummer primitiv mit schwarzer Tinte aufgemalt worden war. Er registrierte die üblichen Heftklammern aus Metall, die an den Rändern zur Stabilisierung angebracht waren; in dem Karton konnte ein Kühlschrank oder ein Möbelstück verkauft worden sein. Er maß anderthalb Meter in der Höhe, aber nur einen Meter in der Breite. Also war das Mädchen entweder sehr klein oder in eine unnatürliche Position gebracht worden; vielleicht hatte man sie sogar zerstückelt. »Ihr Gesicht«, hatte der Uniformierte nur gesagt. »Der Hausmeister öffnete den Deckel und sah ihr Gesicht.«
    Enthielt die Kiste den ganzen Körper oder nur ihren Kopf, fragte sich Parrish. Doch als er ihre Augen sah, wusste er Bescheid. Als er in die Kiste griff und in der Dunkelheit nach ihrer Hand tastete, wusste er Bescheid. Sie war nicht geschlagen worden und wies keine Blutergüsse auf. Kein Blut war zu sehen und keine bösartigen Schnitte an Schultern, Brüsten oder Armen. Sie war weder gefesselt, geknebelt noch geblendet worden. Nichts an ihr deutete auf die Art und Weise hin, wie sie ums Leben gekommen war – abgesehen von einer Linie, die sich ums ihren Hals herumzog und von einem Seil, einer Schnur oder einem Stück Stoff stammen konnte. Und abgesehen von ihren blutunterlaufenen Augen.
    Sie blickte Parrish an, als wäre sie erleichtert, ihn zu sehen. Als fühlte sie sich friedlich. Sie war schlank, aber perfekt proportioniert, ihr Haar dunkel und hinten kurz geschnitten. Parrish schätzte sie auf eins achtundsechzig bis eins siebzig; sie wog vermutlich zwischen fünfundvierzig und fünfzig Kilo und war sechzehn Jahre alt, vielleicht auch jünger. Parrish trat einen Schritt zurück und atmete tief durch. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass sie seit höchstens sechs bis acht Stunden tot war.
    Mehr als alles andere waren es ihre Hände, die bei Parrish einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Die farbigen Nägel, so perfekt lackiert: kein Klecks, nichts verschmiert, makellos.
    In Parrish war alles still. Kein Geräusch, kein Gedanke, einfach gar nichts.
    Solange sie ihren Namen nicht kannten, war sie niemand, außer für Frank Parrish.
    Denn er wusste, dass sie eine von ihnen war. Es konnte nicht anders sein.
    32
    Wenn man jung ist, hat man Träume. Von all dem, was man tun kann, von all dem, was man werden kann. Parrish hatte nichts davon erreicht, und jetzt wurde seine Zeit knapp. Er spürte die Leere wie eine entzündete Zahnwurzel. Die Erinnerung an das, was er hatte werden wollen, war so tief in ihm verwurzelt und gehörte so unverwechselbar zu ihm wie sein eigenes Blut, beständig und sich immer wieder erneuernd. Inzwischen war sein Leben so vorhersehbar und gleichförmig wie das Voranschreiten der Tage. Er dachte: Jeden Tag und in jeder Hinsicht geht’s mit mir abwärts. Mochten seine Gedanken zu Beginn des Tages noch mit dünnen Fäden von Optimismus durchwoben gewesen sein – dem Gefühl, dass er diesen speziellen Tag vielleicht doch ohne einen Drink durchstehen würde –, so war davon nichts mehr zu spüren.
    Parrish stand am Ende der

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