Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
übernommen und die üblichen Ermittlungsschritte eingeleitet: die Straßen abgeklappert, mit den Nachbarn gesprochen, mit dem Freund und mit den Mädchen, die mit der Vermissten zur Schule gingen. Wie immer in solchen Vermisstenfällen waren die ersten achtundvierzig Stunden entscheidend. Später nahm die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Suche rapide ab. Nach einer Woche konnte man sich mehr oder weniger von dem Gedanken verabschieden, die Vermissten lebendig wiederzusehen.
Parrish verließ den Büroraum, in dem er gesessen hatte, und brachte die Akten hinunter zum Empfang. Er bat um einen Ansprechpartner, der ihm mit einigen Informationen weiterhelfen könnte. Man teilte ihm mit, er müsse einen Moment warten.
Zehn oder fünfzehn Minuten verstrichen, dann trat ein junger Mann aus dem Aufzug und kam auf ihn zu.
»Hi, ich bin Jamie Lewis. Man hat mir gesagt, Sie bräuchten bei irgendetwas Hilfe.«
»Ja, das ist richtig. Ich weiß nicht, ob Sie mir wirklich helfen können, aber ich habe einige Fragen. Können wir uns irgendwo etwas ungestörter unterhalten?«
Jamie Lewis führte ihn in einen kleinen Raum am hinteren Ende des Eingangsbereichs, und Parrish umriss die vier Fälle, mit denen er zu tun hatte. Er betonte, dass es sich nicht um eine offizielle Ermittlung zu einer möglichen Verbindung zum Jugendamt oder der CAA, sondern lediglich um eine Möglichkeit handelte, der er nachgehen wolle.
»Ihnen muss klar sein, dass Sie von verschiedenen Zuständigkeitsbereichen sprechen«, sagte Lewis. »Natürlich wäre das vor sechs Monaten noch anders gewesen.«
»Vor sechs Monaten? Was meinen Sie?«
»Anfang des Jahres wurde der ganze Apparat komplett auf den Kopf gestellt. Davon war schon seit Ewigkeiten die Rede, jedenfalls solange ich hier arbeite. Aber jetzt ist es tatsächlich passiert.«
»Wovon sprechen Sie, Mr Lewis?«
»Vom Verwaltungssystem. Davon, wie die Fälle behandelt werden. Bis Anfang des Jahres wurde alles über zwei Hauptabteilungen organisiert, die als Koordinationsstellen zwischen dem Jugendamt und der Adoption Agency dienten. Sie hießen Family Welfare North und Family Welfare South. Der nördliche Distrikt kümmerte sich um Manhattan, die Bronx und alles westlich des Flusses, während der südliche Distrikt für Brooklyn, Maspeth, Williamsburg zuständig war – alles, was im Osten liegt. Dann wurden die beiden Distrikte in acht separate Abteilungen aufgegliedert, jede mit eigener Zuständigkeit.«
»Die Fälle, um die es mir geht, liegen also …«
»Alle im ursprünglichen Süddistrikt.«
»Und im Jugendamt und der CAA werden jeweils eigene Unterlagen für jeden Fall geführt?«
»Ja, genau. Es ist Aufgabe der Family-Welfare-Abteilungen, zwischen beiden Stellen zu koordinieren und zu vermitteln.«
»Unabhängig davon, ob ein Angestellter im Norden oder Süden arbeitete, hätte er also Zugang zu den Akten beider Behörden gehabt und die ganze Zeit über gewusst, wo diese Kinder und Jugendlichen sich aufhielten?«
»Ja, die Mitarbeiter haben in jedem Stadium der Jugendfürsorge und des Adoptionsprozesses Zugang zu den Informationen.«
»Und wie viele Menschen waren in den ursprünglichen Distrikten beschäftigt?«
»Mein, Gott, keine Ahnung. Vielleicht sieben- bis achthundert pro Distrikt.«
»Sieben- bis achthundert?«
»Ja, locker. Vielleicht auch mehr. Schließlich hatten sie es mit verdammt vielen Fällen in einem riesigen Gebiet zu tun, Detective.«
»Klar. Sicher. Und wenn ich nun eine Liste aller Mitarbeiter im ursprünglichen Süddistrikt haben wollte, wie müsste ich vorgehen?«
Jamie schüttelte den Kopf. »Ich schätze mal, wir sollten diese Informationen hier im Haus haben – höchstwahrscheinlich in der Personalabteilung.«
»Gibt es dort auch Unterlagen darüber, welche Mitarbeiter des Süddistrikts welcher der neuen Abteilungen zugewiesen wurden?«
»Vermutlich schon. Die neuen Abteilungen sind nach Postleitzahlen zusammengefasst. Die Personalabteilung könnte Ihnen eine Liste aller Büros und die dazugehörigen Adressen geben.«
»Prima. Sie waren mir eine große Hilfe, Jamie. Ich bin wirklich sehr dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
»Glauben Sie denn, dass es ein Family-Welfare-Mitarbeiter war, der den Mädchen so etwas angetan hat?«
Parrish schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht gibt es ja überhaupt keinen Zusammenhang. Es könnte sich einfach um einen Zufall handeln …«
»Ich glaube nicht so sehr an
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