Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
bei Schlitz und Hotdogs wichtigmacht. Und ich durchschaue euch alle. Ich durchschaue diese Bande Drecksäcke, die ihr in Wirklichkeit seid. Dabei ist es nicht das Geld, das mir wehtut. Es sind nicht der Betrug, die Schmiergelder, die Bestechung. Es ist nicht einmal das Morden. Was mich am meisten schmerzt, ist die Tatsache, dass du die Menschen dein Leben lang angelogen hast, und du konntest nicht mal zugeben, wie sehr du dich selbst belogen hast. Ich für meinen Teil weiß wenigstens, dass ich es versaut habe, und besitze genügend Demut, das einzusehen. Ich hab meine Ehe versaut und die Erziehung meiner Kinder, aber, verdammt, ich kann es wenigstens zugeben, verstehst du? Das ist es, was mich ärgert. Deswegen schäme ich mich, dein Sohn zu sein.
Und er dachte an Caitlin und fragte sich, ob er Jimmy Radick wirklich bitten sollte, sie ein wenig im Auge zu behalten. Nur zu ihrem eigenen Besten. Nur um sicherzugehen, dass sie auf der richtigen Seite der Straße blieb.
Um halb zwölf machte Frank Parrish sich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Als er sein karges und schmuckloses Wohnzimmer betrat, das nichts enthielt außer einem Sofa, einem Tisch mit Stuhl am Fenster und einer alten Stereoanlage mit Plattenteller, machte er sich mit dem Gedanken vertraut, dass er den Weg, den er mit der Therapeutin begonnen hatte, auf jeden Fall weitergehen musste. Sein Vater war seit sechzehn Jahren tot. Das erschien ihm nicht sonderlich lang, bis er sich ins Gedächtnis rief, dass Caitlin bei seiner Beerdigung vier Jahre alt gewesen war. Aus diesem Blickwinkel erschien es wie eine Ewigkeit.
Dem Fernseher gelang es nicht, ihn abzulenken, also schaltete er ihn ab. Er setzte sich an den Tisch und schaute durch die zur Seite gezogenen Vorhänge hinaus auf die Willoughby Avenue. Genau im Westen, höchstens drei oder vier Blocks von hier, lag das Brooklyn Hospital. Im Nordwesten, abermals gerade ein halbes Dutzend Blocks entfernt, befand sich das Cumberland Hospital. Caitlin könnte in einem von beiden arbeiten. Dann könnte er sie jede Woche sehen, vielleicht auch mehrmals die Woche. Sie könnten sich zum Mittagessen im Auburn Place oder St. Edwards treffen. Sie könnten so lange so tun, als stünden sie sich nahe, bis es tatsächlich so wäre. Sie könnten – er könnte – die letzten zehn Jahre mit all dem Streit und Ärger, der die Familie auseinandergerissen hatte, wiedergutmachen.
Frank nahm eine Flasche aus dem Schrank über der Spüle. Er goss sich drei Finger breit ein, trat zurück ans Fenster und versuchte, sich auf Rebecca zu konzentrieren, auf die Umstände ihres Todes, auf den möglichen Grund, die Zusammenhänge, die Lösung des Falls.
Ihr Bild verfolgte ihn. Die kurzen Haare. Die lackierten Nägel.
Er fragte sich, ob sie begriffen hatte, dass ihr Leben enden würde. Oder ob sie im Schlaf erdrosselt worden und nur in den letzten Sekunden aufgewacht war, ehe alles um sie herum mit einem letzten Aufflackern ausgelöscht wurde.
Er fragte sich, ob sie das Gesicht ihres Mörders gesehen hatte. Oder hatte er sich einen Schal vors Gesicht gebunden, eine Baseballkappe so tief heruntergezogen, dass sie nur die Muskeln seines Kiefers wahrgenommen hatte, als seine Hände fester zudrückten?
Er fragte sich, ob Rebecca versucht hatte, sich zu wehren, auch wenn es gegen jemanden, der so viel mehr Kraft besaß als sie, von Anfang an hoffnungslos gewesen war.
Er fragte sich, ob sie gefleht, gebettelt, vielleicht sogar gebetet hatte … Gott um einen Aufschub, um Erlösung angefleht hatte, um Vergebung für alles, was sie getan haben mochte, um solch einen Tod zu verdienen.
Ganz ehrlich: Frank Parrish hätte gern an Gott geglaubt, doch war er der Ansicht, dass Vertrauen auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Und er wusste mit aller Gewissheit, dass Gott nicht an ihn glaubte.
Kurz vor zwei Uhr schlief er auf dem Sofa ein. Er war immer noch angezogen – Hose, Socken, Hemd. Eine leere Flasche stand auf dem Boden, daneben ein Glas.
Kurz vor Morgengrauen schien er aufwachen zu wollen, unternahm aber keinen Versuch, das Sofa zu verlassen. Er drehte sich einfach um, vergrub sein Gesicht in einem Kissen und versuchte, die Bilder der toten Rebecca wegzuschieben.
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Dienstag, 9. September 2008
»Marty Krugman war ein kleiner Fisch, ein Perückenverkäufer. Er besaß irgendwo einen Laden und hatte diese TV-Werbespots im Spätprogramm, aber nebenher platzierte er Wetten für andere Leute. Hin und wieder hatte er mit jemandem etwas laufen,
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