Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
. Vorhersehbar breit gefächert und gleichzeitig zusammenpassend.
Caitlin kam ins Zimmer und trat eilig auf Radick zu. Ihr Gesichtsausdruck wirkte irgendwie verlegen.
»Wie lange arbeiten Sie schon mit meinem Dad?«
»Seit gestern«, erwiderte Radick.
»Er trinkt. Das wissen Sie, oder?«
Radick schwieg.
»Er trinkt, und er wird übellaunig. Zwischen ihm und meiner Mom ist eine Menge vorgefallen, und er geht nicht besonders gut damit um …«
»Miss Parrish, ich glaube nicht, dass Sie mir so etwas erzählen sollten.«
Sie drückte Radick ein Stück Papier in die Hand. »Das hier sind meine Telefonnummern von hier, von der Arbeit und meine Handynummer. Rufen Sie mich an, wenn es ihm allzu beschissen geht. Wenn Sie anfangen, sich Sorgen um ihn zu machen, dann rufen Sie mich an.«
»Miss Parrish …«
»Ernsthaft. Rufen Sie mich an.«
»Kaffee«, rief Parrish, und Caitlin drehte sich abrupt um. Sie lächelte, als er ins Zimmer trat.
»Ich dachte, du wolltest dich fertig machen«, sagte er.
»Tue ich auch. Ich hab hier bloß nach einer Haarspange gesucht, die ich nicht finde.«
Caitlin schob sich an ihrem Vater vorbei und verließ das Zimmer.
Parrish reichte Radick eine Kaffeetasse und forderte ihn auf, sich zu setzen.
Radick stopfte den Zettel in seine Jackentasche und setzte sich auf einen Stuhl am Fenster.
Parrish stellte ihm die Tasse auf den Tisch und sagte, er wäre gleich wieder da.
Es dauerte nicht lange, bis sich in einem anderen Teil der Wohnung die Stimmen erhoben. Hier ging es um eine Vater-Tochter-Geschichte, in die Radick wirklich nicht verwickelt werden wollte. Er trank seinen Kaffee, blieb geduldig sitzen und versuchte – was sich als schwierig erwies –, nicht zuzuhören. Frank redete über ihren Job und ihre zukünftige Arbeitsstelle. Es klang, als wolle er, dass sie nach der Ausbildung in ein bestimmtes Krankenhaus wechselte, während sie ein anderes im Sinn hatte. Es klang wie die Art Diskussion, die zwangsläufig in einen Streit münden musste. Für Radick schien die junge Frau sehr gut in der Lage zu sein, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und zu entscheiden, wo sie wohnen und wo sie arbeiten wollte. Aber was wusste er schon? Er war neunundzwanzig Jahre alt. Er war nicht verheiratet – nie gewesen – und hatte weder Kinder noch eine feste Beziehung. Das hier war nicht sein Territorium, und er war froh darüber.
Nach zehn Minuten war Parrish fertig. Er trat wieder ins Zimmer und trug jenen entschuldigenden Gesichtsausdruck zur Schau, den Menschen aufsetzen, wenn sie einem Fremden ungewollte Einblicke in ihr Privatleben geboten haben.
Auf eine Entschuldigung jedoch verzichtete er; vielmehr erklärte er Radick einfach, dass sie jetzt fahren konnten.
Radick stellte seine Tasse ab und folgte Parrish zur Tür.
»Danke für den Kaffee, Miss Parrish«, rief er, bekam aber keine Antwort.
Er setzte Parrish vor seinem Mietshaus ab und warf beim Losfahren einen Blick in den Rückspiegel. Parrish blieb einen Moment vor dem Haus stehen, als versuchte er, sich an etwas Wichtiges zu erinnern, dann schien er niedergeschlagen die Achseln zu zucken, ehe er die Stufen zum Hauseingang hinaufstieg.
Radick fuhr nach Hause. Auch er hatte nichts gegen ein paar Kurze nach der Arbeit einzuwenden. Doch war ihm klar, wie es laufen würde, wenn er mit Parrish etwas trank: Sie würden in irgendeiner Bar landen, wo Parrish ihm seine Lebensgeschichte erzählen, sich selbst leidtun und langsam aber sicher auf den Absturz zusteuern würde. Radick wollte nicht Frank Parrishs Saufkumpan, sondern sein Partner sein. Er wusste Bescheid über John Parrish, den großen John Parrish, Aushängeschild des OCCB und der Brooklyn OC Task Force. Der Mann war ein Tier gewesen, und wenn er die beiden ersten Tage mit Frank zum Maßstab nahm, konnte er sich vorstellen, dass John ein bisschen enttäuscht über die Entwicklung seines Sohnes gewesen wäre. Allerdings war auch Frank Parrish gut gewesen. Einer der Besten, wenn man den Gerüchten glauben durfte. Er hatte im Dienst eine Menge erlebt und Verbrechen aufgeklärt, an denen andere sich die Zähne ausgebissen hatten. Vielleicht war er eine kleine Legende, aber immerhin eine Legende. Er war nicht wie sein Vater. Verdammt, keiner war wie John Parrish. Aber sogar wenn Frank nur einen Teil der Brillanz seines Vaters mitbekommen hatte, und sogar wenn dieser Teil fünffach verdünnt und abermals fünffach verdünnt worden war, wäre Jimmy Radick damit mehr als
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