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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Frau nicht am Arm gepackt, wäre er vornüber gekippt.
    »Komm schon, Dud«, sagte Wapshare, während er hinter der Bar hervorkam und den anderen Arm nahm. »Wir finden hinten ein nettes, gemütliches Plätzchen für dich. Sergeant, ich werde für eine Weile schließen, bis die Versammlung vorbei ist, aber deshalb müssen Sie Ihr Essen nicht runterschlingen. Nehmen Sie sich, was Sie brauchen, und falls Sie gehen, bevor ich zurück bin, ziehen Sie einfach die Tür hinter sich zu.«
    Fünf Minuten später war Wield vollkommen allein. Für Dalziel wäre das der Himmel auf Erden gewesen, ähnlich wie für Pascoe ein paar Stunden allein im Tell-Tale-Buchladen.
    Und was war sein eigener siebter Himmel? Er versuchte, sich etwas vorzustellen, aber ihm fiel nichts ein. Ein Mann ohne Traum also. Demnach müsste er eigentlich unglücklich sein, doch zu seinem eigenen Erstaunen war er es nicht.
    Er aß zu Ende, ging hinter die Bar und genehmigte sich, nicht nur, weil er noch Durst hatte, sondern auch, weil ihm das Zapfen Spaß machte, noch ein kleines Bitter. Von dieser Seite des Tresens sah der Raum anders aus. Er kannte eine Menge Cops, die in Pension gegangen waren und einen Pub aufgemacht hatten. Er selber hätte darauf keine Lust gehabt. Worauf hatte er dann Lust? Ein Päckchen mit Grieben. Er bediente sich, sah nach, was die Getränke und das Essen kosteten, war angenehm überrascht, hinterlegte sein Geld ordentlich auf der Kasse, warf ein paar weitere Pfundmünzen auf die wiedererrichtete Pyramide, inzwischen mehr Pyrenäen als Pyramide, und trat in die Nacht.
    Es wäre draußen pechschwarz gewesen, hätte nicht das vorhanglose Fenster der Dorfhalle einen Lichtstrahl über die Straße geworfen. Er folgte dem hellen Streifen, bis er nah genug heran war, um die Versammlung im Inneren nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören.
    Der Pfarrer stand vorne. Er hatte eine gute Kanzelstimme, doch schien er keine sonderlich frohe Botschaft zu überbringen.
    »Der Aufruf ist recht erfolgreich gewesen«, sagte er. »Doch wie wir von Anfang an wussten, sind die Chancen gering, an die hohe Summe heranzukommen, die wir brauchen, um den Fortbestand der Schule zu sichern …«
    »Dann müssen wir den Anger verkaufen«, brüllte jemand. »Ist Phil Wallop nicht interessiert? Wir könnten sowieso ein paar neue Häuser für die Jüngeren unter uns gebrauchen …«
    »Du glaubst doch wohl selber nicht, dass die Jungen aus dem Dorf sich leisten könnten, was Wallop gebaut hat«, rief jemand dazwischen. »Und auch nicht, dass er hiesige Arbeiter beschäftigen würde, falls du daran gedacht hast …«
    »Bitte!«, rief der Pfarrer in das darauffolgende Stimmengewirr. »Also, ich wollte eigentlich vorschlagen, die Entscheidung zu verschieben … ja, ich weiß, dass ich gesagt habe, es müsste heute abend passieren, aber … also, ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken, aber es besteht die leise Möglichkeit, dass ein Geldbetrag, ein einigermaßen großer Geldbetrag eventuell … mehr kann ich im Moment nicht sagen. Morgen kann ich definitiv Bescheid geben … beim Fest der Abrechnung …«
    Ein Mann, der einen Hoffnungsschimmer bringt, sollte versuchen, ein bisschen glücklicher auszusehen, dachte Wield. Doch der Pfarrer machte eher ein Gesicht, wie man es bei seinem Arzt nicht sehen möchte, wenn der sich die Röntgenaufnahmen ansieht.
    Wield drehte sich um. Das hier war eine private Versammlung, eine Familienangelegenheit, und er war kein Familienmitglied. Der Gedanke hatte etwas Melancholisches. Vielleicht hätte er so lange im Morris bleiben sollen, bis er entweder angeheitert oder richtig traurig geworden wäre. Er blickte zum Pub auf der anderen Straßenseite hinüber. Im Licht aus dem Fenster hinter ihm konnte er das Schild über der Tür erkennen. Pascoe hatte ihm die Geschichte dazu erzählt, obwohl Geschichte vielleicht nicht das richtige Wort war.
    Die Menschen ändern sich nicht, dachte Wield. Sie machen dieselben Dinge, nur auf andere Art.
    Aus der verbrannten, angeschlagenen und zerschossenen Brust von William Morris ragte jetzt ein kurzer, matt schimmernder Eisenstift heraus.

Sechs
    »Es war ein wunderbarer Abend für unsere ausgelassenen Spielchen.«
    D ie High Street war so still wie ein verlassener Filmset, als Wield zur Corpse Cottage zurückschlenderte. Auch wenn er nicht zum Phantasieren neigte, war er unversehens dabei, sich vorzustellen, wie es hier wohl vor ein-, zwei- oder dreihundert Jahren ausgesehen haben

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