Der Schrei des Eisvogels
entfernten Dröhnen eines Traktors, der ihn daran erinnerte, dass Enscombe eine arbeitende Bevölkerung hatte und dass ein Bauer immer noch mit den Vögeln aufstand.
Zu Anfang lief er ein wenig schwankend, doch als er die High Street erreicht hatte, fühlte er sich schon mehr wie ein Puls in der Natur als ein Knüppel zwischen den Beinen.
Er begegnete einigen Landarbeitern, die ihn so selbstverständlich begrüßten, als täten sie das schon seit fünfzig Jahren. Vielleicht ließen ihn sein Stoppelbart und seine verkrumpelten Kleider mit der Umgebung verschmelzen.
In der Post fand er Wylmot mit einem derartigen Kater vor, dass er selbst im Vergleich vor Wohlbefinden strotzte. Er erinnerte sich, in welchem Tempo der Mann die Gin Tonics gekippt hatte. Der Dummkopf. Wenn er sich nur an reinen alten Bourbon gehalten hätte …
Selbstgefällig sagte er: »Lassen Sie mal sehen.«
Zugang hatte sich der Täter durch ein Küchenfenster verschafft, und zwar mit derselben Technik wie tags zuvor im Tell-Tale-Buchladen. Anders als dort gab es hier eine Alarmanlage.
Wield überprüfte sie. Sie war nicht an.
»Was war denn los, Sir? Ha’m Sie vergessen, sie einzuschalten?«
»Muss so gewesen sein«, sagte Wylmot. »Ich war gestern abend ziemlich müde. Gewöhnlich mache ich das ganz automatisch. Oh, Scheiße. Ich hoffe, die Versicherung macht mir keinen Ärger. Wir haben sie nach dem letzten Einbruch installiert, und wir haben einen Rabatt auf die Prämie bekommen.«
»So was kann schon mal passieren, Sir«, sagte Wield. »Wann haben Sie den Einbruch bemerkt?«
»Vor ungefähr einer halben Stunde. Das heißt nicht ich. Es war meine Frau.«
»Können Sie schon sagen, was fehlt?«
»Aus dem Laden, ja. Hier drinnen scheinen sie nichts angerührt zu haben.«
Hier drinnen war das Wohnzimmer und das Esszimmer, durch die man in den Laden gelangte. Wield blieb an der Verbindungstür stehen und fragte: »War die denn verschlossen?«
»Die? Nein. Ich meine, wenn sie schon mal so weit gekommen sind, dann kommen sie auch noch weiter, nicht? Da hätten sie nur noch mehr kaputtgemacht.«
Für Wield besagte diese Logik, dass man am besten alle seine Wertsachen in einen Koffer packt und auf dem Küchentisch deponiert.
Er ging in den Schalterraum.
Er war ein wenig durcheinander, doch im wesentlichen lagen nur Papiere herum, nichts, was besonderen Lärm verursacht hätte.
»Wo ist Ihr Schlafzimmer, Sir?«
»Direkt hier drüber«, sagte Wylmot.
So wie der Mann aussah, hätte ihm schon das gesamte Musikkorps der Königlichen Garde den Marsch blasen müssen, um ihn wach zu bekommen, aber vielleicht hatte seine Frau ja etwas gehört.
»Sie haben, soweit ich sehen kann, vor allem Post geklaut. Der alte Safe, den wir bisher hatten, ließ sich mit einer Haarnadel öffnen, aber für diesen neuen hier braucht man schon Plastiksprengstoff. Und ich achte immer streng darauf, irgendwelche Wertsachen wegzuschließen. Die Kassen waren natürlich leer. Ich nehme daher an, dass sie auf einen glücklichen Griff in den Postsack aus waren. Er war deutlich voller als sonst, weil wir gestern keine Leerung hatten.«
»Ach so, ja, der Unfall des Postboten. Können Sie sich zufällig noch erinnern, was genau im Sack war? Kann ja wohl nicht allzuviel sein, in einem kleinen Ort wie Enscombe.«
»Wir machen einen beachtlichen Umsatz«, konterte Wylmot. »Wäre das nicht der Fall, hätten sie uns längst geschlossen. Ah, da bist du ja, Liebes.«
Daphne Wylmot war in der Tür erschienen. Sie trug einen grüngoldenen Morgenmantel, der fließend über die Kurven ihres Körpers fiel. Ihr schulterlanges Haar war gebürstet worden, bis es wie der Morgenmantel glänzte, und sie hatte eben genug Make-up aufgelegt, um ihrem Morgengesicht Leben und Farbe einzuhauchen. Ihre Füße waren nackt, und ihre Zehen mit den magentaroten Nägeln krümmten sich wie bei einem Greifvogel auf dem kalten Fliesenboden.
Wield betrachtete sie mit dem neutralen Wohlgefallen eines Kunstliebhabers, und ihre grünen Augen erwiderten seinen Blick mit dem stummen Staunen einer schönen Frau, die nicht die Resonanz findet, die sie erwartet hat, selbst so früh am Morgen.
»Hallo, Mrs. Wylmot«, sagte Wield. »Detective-Sergeant Wield. Wir sind uns gestern schon begegnet. Sie haben, glaube ich, den Einbruch entdeckt?«
»Das ist richtig, Sergeant. Ich habe die Zugluft gespürt, kaum dass ich die Küchentür aufmachte.«
»Sie waren früh auf«, sagte Wield. »Hat Sie etwas
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