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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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bis jemand einen Transport ins Krankenhaus organisiert hatte. Auf diese Weise hatten sie sich kennengelernt.
    Mit gekonntem Schwung löffelte Adaeke die Suppe in die beiden Plastikschüsseln und stellte sie auf den schiefen Tisch. »Guten Appetit!«
    Yoba ließ sich nicht zweimal bitten. Nachdem Chioke neben ihm Platz genommen hatte, fielen sie wie ausgehungerte Raubtiere über den ebenso köstlichen wie scharfen Suppeneintopf her. Mit bloßen Fingern fischten sie die verschiedenen Fisch- und Fleischeinlagen heraus, und als Adaeke ihnen noch dazu einen Kloß aus Maniokmais auf den Tisch legte, fühlten sich die Brüder endgültig wie im Paradies. Yoba riss mit zittrigen Händen ein Stück aus dem weißen Teig, formte eine Kugel und tunkte sie in die Schüssel. Dann biss er hinein. Die curryfarbene Suppe tropfte ihm aus den Mundwinkeln und er spürte, wie sein leerer Bauch in Erwartung der ungewohnten Nahrung rebellierte. Magenkrämpfe schüttelten ihn, aber als die ersten Bissen den geschrumpften Magen zu weiten begannen, durchflutete ihn eine wunderbare Wärme. Yoba fühlte sich wie neugeboren.
    »Mehr!« Chioke hatte seine Schüssel bereits leer gegessen und hielt sie Adaeke hin.
    »Sei nicht so gierig!«, schalt ihn Yoba mit vollem Mund. »Sonst hast du später nur Bauchweh!«
    »Schon gut«, entgegnete Adaeke. »Lass ihn.« Sie nahm Chioke die Schüssel aus der Hand. Kaum war sie wieder gefüllt, riss er die Schale wortlos an sich und vergrub sein Gesicht erneut in dem köstlichen Essen. Adaeke setzte sich auf eine geflickte Holzkiste und sah dabei zu, wie Chioke die Suppe in sich hineinschlang.
    »Seit wann ist dein Bruder eigentlich so?«, fragte sie Yoba stirnrunzelnd. »Ich habe nie gehört, dass Chi-Chi mehr als zwei Wörter sagt.«
    »Da ist mal was passiert«, wich Yoba aus und stopfte eine weitere Maniokkugel in sich hinein. »Vorher war es nicht so schlimm.«
    Entgegen seiner Hoffnung ließ Adaeke jedoch nicht locker. »Was ist denn passiert?«, bohrte sie weiter. »Nun sag schon! Ich erzähle es auch keinem weiter!«
    Yoba schob Adaeke seine Schüssel hin. »Kann ich auch noch was haben?«
    Adaeke sah ihn prüfend an. Endlich nahm sie die Plastikschüssel und humpelte zu dem Topf. »Ich hoffe nur, meine Mutter erfährt nie etwas davon«, stöhnte sie. »Sonst muss ich für meine Gutmütigkeit ewig büßen!«
    »Keine Angst. Wenn ich meinen Onkel gefunden habe, zahle ich alles zurück«, verkündete Yoba großzügig. »Ich halte mein Wort.«
    »Ist dein Onkel denn reich?«
    »Klar«, erwiderte Yoba mit einer großspurigen Geste. »In Europa ist doch jeder reich.«
    »Dein Onkel ist in Europa?« Adaeke war überrascht. Gleichzeitig war sie skeptisch. »Und wo da?«
    Yoba angelte sein Notizbuch aus der Hose und entnahm ihm ein sorgfältig zusammengefaltetes Stück Papier. Seine kranke Mutter hatte ihm den Zettel auf dem Sterbebett zugesteckt und geflüstert, ihr ausgewanderter Zwillingsbruder Abeche würde sich um sie kümmern. Anscheinend ahnte sie, was nach ihrem Tod geschehen würde.
    Yoba faltete das Papier vorsichtig auseinander und strich es behutsam glatt. Auf ihm stand nur ein einziges Wort: HAMBURG.
    »Wo soll das denn sein?«, erkundigte sich Adaeke. Sie konnte nicht lesen. Ihre Mutter hatte sich das Schulgeld nie leisten können.
    Yoba zuckte mit den Achseln. »Das ist irgendein Ort in Europa. Mehr weiß ich auch nicht«, schmatzte er mit vollem Mund. »Auf jeden Fall werde ich meinen Onkel bald besuchen.«
    »Du willst nach Europa?«, empörte sich Adaeke. »Du bist verrückt! Und was wird aus Chi-Chi?«
    Yobas Bruder leckte sich völlig in sich versunken die Finger ab. Wie immer schien er nichts von dem mitzubekommen, was um ihn herum geschah.
    »Wenn ich gehe, nehme ich Chi-Chi mit«, erklärte Yoba seelenruhig. »Wer weiß, vielleicht finde ich sogar einen Doktor, der ihn wieder gesund machen kann. Europäische Ärzte sind viel besser als unsere!«
    Adaeke lachte. »Pah! Weißt du überhaupt, wie viel die Reise nach Europa kostet? Woher soll ein zerlumpter Straßenjunge wie du schon Dollars oder Euros nehmen!«
    »Bald verdiene ich genug Dollars und Euros!«, erklärte Yoba lässig. »Irgendwann gibt mir Big E eine Chance. Du wirst schon sehen!«
    »Ach ja?«, schimpfte Adaeke. »Ich kann dir genau sagen, wie diese Chance aussieht: Big E schickt dich als Pick Pocket auf die Straße und früher oder später erwischen sie dich. Dann stecken sie dich da drüben ins Gefängnis.« Adaeke zeigte

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