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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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verletzte.
    An Bord des Fischerbootes war jeder bestürzt. Das Geschreiund der Lärm am Strand verfolgten sie noch eine ganze Weile in die Nacht hinaus. Einmal hörte Yoba sogar einen Schuss.
    »Warum tun die Libyer das?«, fragte er Babatunde, während er seinen zitternden Bruder dazu brachte, sich zwischen seine Beine zu setzen. »Ich meine, es kann ihnen doch egal sein.«
    »Ist es ihnen auch.« Babatunde klammerte sich an die Reling. Im Mondlicht konnte man erkennen, wie erschüttert er war. »Die Europäer wollen nicht, dass wir kommen. Deshalb zwingen sie die Libyer, uns erst gar nicht losfahren zu lassen. Und wie du gesehen hast, tun die Libyer das auch. Zumindest hin und wieder, damit sie was vorzuweisen haben.«
    Sunday knurrte bitter. »Ja, und an dem Rest verdienen sie munter weiter. Wahrscheinlich sind heute Nacht Dutzende von Booten gestartet und keinen kümmert es. Anscheinend haben wir unsere Kreuzfahrt bei dem Falschen gebucht.«
    Dann erbrach er sich in einem hohen Bogen ins Meer.

42.
    Als Adria und Julian mit der Autofähre in den malerischen Hafen von Lampedusa-Stadt einliefen, stachen ihnen die vielen Soldaten und Carabinieri sofort ins Auge. Sie bevölkerten die Cafés und schlenderten in lärmenden Gruppen über die kopfsteingepflasterten Gassen der historischen Altstadt. Einige Uniformierte saßen sogar in Klappstühlen auf dem Kai und hielten zum Zeitvertreib ihre Angeln ins Hafenbecken. Julian kam sich vor wie in einem Freizeit- und Erholungscamp hinter der Front eines unsichtbaren Krieges.
    Nachdem die Fähre angelegt hatte, gingen sie mit gemischten Gefühlen von Bord. Sofort steuerte ein am Pier wartender Taxifahrer mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Der kleine Mann war bereits im Rentenalter und trug einen nicht zu verachtenden Bauch vor sich her. Sein schmales, freundliches Gesicht krönte ein imposanter, perfekt gestutzter Schnauzbart.
    »Willkommen auf Lampedusa!«, legte er auf Deutsch los. »Der schönsten Insel der Welt! Hotel oder Sightseeing? Oder vielleicht eine Ferienwohnung? Mein Vetter vermietet gleich zwei davon.« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge. »Mit Meerblick – bellissima! Billig wie bei Aldi!«
    »Aldi!?« Adria und Julian wechselten irritierte Blicke.
    »Alles, was deutsch ist, erkenne ich auf hundert Meter!«, erklärte der Taxifahrer belustigt. Seine Augen wanderten von Julians Badelatschen über seine Shorts und das bedruckte T-Shirt bis hin zu seinen dunkelblonden Haaren. »Ich habe zwanzig Jahre in München gearbeitet. Als Gastarbeiter in einer Fabrik für Autoteile. München ist eine sehr schöne Stadt. Wunderschöne Signorinas!« Er zwinkerte Julian verschwörerisch zu und hielt die Tür seines betagten Mercedes auf.
    Dieser Casanova war mindestens so alt wie sein eigener Großvater, dachte Julian. Er zog Adria ein Stück zur Seite. »Vielleicht ist es besser, wir peilen die Lage erst einmal zu Fuß. Ich trau dem Typen nicht.«
    »Bitte nicht zu Fuß!« Adria befühlte ihre Stirn mit dem Handrücken. »Ich fühle mich nicht so gut. Lass uns doch lieber das Taxi nehmen!«
    »Bist du etwa krank?«, erkundigte sich Julian besorgt.
    »Nein, es geht schon«, beruhigte ihn Adria. »Mir ist nur ein wenig schlecht. Die Sonne auf der Fähre war vielleicht ein bisschen viel.«
    Julian machte sich ernsthaft Sorgen, denn Adrias Gesichtsfarbe sah alles andere als gesund aus. Also doch lieber das Taxi. Er half ihr beim Einsteigen, und nachdem sie auf der ausgeleierten, aber tadellos gepflegten Rückbank Platz genommen hatten, schlüpfte der Taxifahrer hinter das Lenkrad.
    »Also, wohin wollt ihr zwei Hübschen?«, fragte er mit Blick in den Rückspiegel. »Luigi kennt jeden romantischen Strand auf dieser Insel! Ganz ungestört!«
    Er lachte über seinen eigenen Witz. Julian sah genervt aus dem Fenster.
    »Wir bleiben nicht lange«, erklärte Adria und legte Julian die Hand auf den Oberschenkel. »Wir wollen nur kurz in das Flüchtlingslager. Mit der nächsten Fähre fahren wir wieder zurück.«
    »Ihr wollt zu den Illegalen?« Luigis vor Erstaunen weit aufgerissene Augen füllten den Rückspiegel. »Deswegen seid ihr extra vom Festland gekommen?«
    »Wir suchen jemanden«, erwiderte Julian knapp.
    Luigi drehte den Zündschlüssel und schüttelte den Kopf. »Wie traurig! Niemand interessiert sich mehr für die wahre Schönheitder Insel!« Er legte den ersten Gang ein und fuhr mit einem Ruck los. Seine gute Laune schien plötzlich verflogen zu sein.
    »Es ist

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