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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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Hoffentlich ist sie nun nicht wieder einfach weggelaufen, anderswohin, weil hier jemand herumreitet. Sie fürchtet sich gewiß nicht wie die anderen, aber sie hat es schwerer, und sie darf sich nicht länger plagen lassen von solchen Geschichten. Er faßte einen Entschluß: Morgen laß ich sie holen! Und dann sage ich ihr, wie ich es meine, und sage ihr, daß alles gut ist, endlich gut. Sie haben Ruhe, werde ich sagen, niemand darf Ihnen etwas tun!
    Er kam in die Villa und setzte sich auf das Sternensofa. Hier war sie bei ihm gewesen. Das würde nie mehr sein. Er hatte etwas bekommen, es war sogleich verloren. Mußte er aufgeben? War das eine Möglichkeit? Wenn er nun wirklich und freiwillig aufgab, – vielleicht bekam er dann alles wieder, anders, als er es sich jetzt vorstellen konnte?
    Ich konnte es damals nicht, da mußte ich sie ausweisen, sagte er sich, jetzt kann ich es wenigstens versuchen.
    Er saß allein und sah sich um: das Dienstzimmer, die Briefordner, die Schnapsflasche, der Tisch, an dem sie gegessen und getrunken hatten. Er ahnte allmählich, was damals angefangen hatte für ihn, – es ging viel weiter, als er je von sich geglaubt hatte: vielleicht ist das überhaupt meine Sache mit ihr, – aufzugeben und es kommt etwas anderes! Und wenn ich nicht an mich denke, sondern an sie – vielleicht bleibt dann alles erhalten, es geht nichts verloren, und ich mache etwas Ganzes und Gutes!
    Es fiel ihm nicht leicht, so zu denken, aber er lebte unabhängig in seiner Wolke aus Macht, er hing nicht wie die andern Beteiligten in einem Netz von Beziehungen, das sie nicht überblickten. Ihm lag es nahe, auf etwas Ganzes zu sehen, das man gutmachen konnte. Die andern konnten aus ihrem Netz nicht so einfach los. Sie sahen ja immer nur ihr Einzelnes und mußten es auch aushalten: den zähen Zeitfluß, die heftige Erschütterung, als es bis aufs Blut ging – sie konnten damit nicht ausweichen in etwas „Ganzes und Gutes“. Dem Kapitän wurde die Erschütterung zu einem „Mal des Erinnerns“. Die andern hatten nur sich selbst, sie hatten ihren strengen Umgang untereinander, sie trieben es schon wie die Gestorbenen mit ihresgleichen, Kolja, Susanna, Axel.
    Kolja in dieser Nacht – während der Kapitän mit seinen Vorsätzen nachhause ging, – wußte nichts von Übermut, der zu heilen wäre, sondern hing zwischen Flur und Busch im Sattel und dachte: gezwungen oder verraten, und fiel dann in eine Schenke an der Straße und lag dort halb bewußtlos auf der Bank und fand am Morgen in sein fremdes, von aller Heimat abgeschnittenes Fliegenquartier, in diese Tierhöhle, in der ihn die Feindseligkeit der tückisch lächelnden Eingeborenen belauerte.
    Und Susanna lag, als der Kapitän durch die Zaunpforte in ihre Villa trat, bei Axel in der Mühle auf dem Strohsack. Sie hatte dort auf ihn gewartet, als ob sie es ausgemacht hätten. So kam sie zusammen mit ihm – ohne Erklärung, und die Worte „du mußt mir glauben“ und „ich kann dir nicht glauben“ galten schon nicht mehr. Aber Susanna wußte genau, was sie tat. Eingefangen mit dem anderen, zusammengebunden mit seinem Bild, eingesperrt in dem Sack aus Blut. Ich mache es, damit es geschieht. Sie wußte es jetzt: man war hinüber, – ohne die Ehre, die in Geschichten ausgeteilt wird, man war durch die Wand gegangen, und die neue Haut, die lasierte, war glatt geblieben, und alles, was man bekam, war einem so lieb wie der Tod. Es war der Tod, in jedem Augenblick, – sonst hätte Axel wohl fragen müssen, warum Susanna gekommen war. Er fragte nicht. Es genügte, sie war da und lag vor ihm auf dem Stroh.
    Als es Mitternacht war und Susanna nachhause ging, dachte sie an Kolja. Wie sollte sie es bei ihm machen? Sie wußte es noch nicht, sie dachte nur, ich muß es auch hier zustande bringen, daß sie alle wieder an mich glauben. Ich habe ihnen das Vertrauen weggenommen, ich muß es ihnen wiedergeben. Ich muß es auch mir selbst wiedergeben, denn ich kann ja nicht leben, wenn jemand erkennt und findet, daß ich ihn nur belogen und betrogen habe.
    In dieser Nacht, als sie in Finis Kammer lange wach lag, kam es ihr vor, als ob ihre eigene Haut nur noch ganz dünn sei. Die neue, beschriebene, gewiß, die würde unverletzt bleiben, aber diese, die sie sonst gehabt hatte, – sie spürte es am Kopf, als ob die Luft von außen da schon in Verkehr stünde mit ihrem Gehirn, eine Luft, die ihr winzige Stäubchen einblies, und diese Stäubchen setzten sich in ihr dann zu Bildern

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