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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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einst über ihre Wangen und Arme gegangen waren. Kolja konnte es sich vorstellen, wenn er die Lichtfiguren auf der Fläche seiner Hand auffing, und er streckte die Hand vor.
    Bemelman, der ihm von weitem zusah, sagte zu seinem Weib: Ich glaube, er spinnt!
    Die Bäuerin sagte: Laß ihn, wenn er so ruhig dasitzt! Und in der Tat war diese Zeit, die Kolja beim Bemelmanhof in der Sonne saß, die einzige Zeit, in der er zur Ruhe kam, gestillt nicht von Erinnerung, sondern von Gegenwart. Und deshalb dehnte er auch diesen Augenblick aus, während droben die Sonne ging, und der Schatten vom Baum auf ihn zuwanderte. Nun rührte ihn der Schatten an, er sprang auf, nun war es vorbei.
    Einmal wird es ganz vorbei sein, dachte Susanna, die sich im Finihaus vor dem Spiegel zurechtmachte. Einmal, wenn ich das Kind geboren habe und in die Höhe gebracht und wenn es mich nicht mehr braucht, nämlich dann, wenn es endlich aufhört, mich für seine Mutter zu halten, die ich gar nicht bin, – das sieht nur so aus, als hätte ich Kinder, – einmal, wenn mich niemand mehr für seine Frau, seine Geliebte oder Mutter halten wird, dann kann ich mich einfach hinlegen und Ruhe haben. Am liebsten möchte ich es jetzt gleich. Das wird niemand verstehen, daß ich, so sehr ich mich beeile, doch nie zurechtkomme, im Grund bin ich zu müde.
    Indessen verging ihr die Müdigkeit über den kleinen Handgriffen, sie puderte sich das Gesicht, kämmte sich das Haar, zog die Brauen nach und tuschte die Wimpern, legte auch ein wenig Rouge auf, und als sie fertig war, bewegte sie sich fort ins Dorf. Und nun war sie ganz so wie eine Person, die den Tag vertrödelt und die sich anschickt, auszugehen. Sie wunderte sich über die künstlich gepflanzten Bäume, die das Gesicht der Straße verwandelten, als ginge es auf Lustpfaden zu einem Reich von Waldfeen hinab.
    Der Pfarrer kam ihr entgegen und sagte, das habe der Kapitän so angeordnet, der plane wohl ein Fest.
    Sie sagte: Ich soll zu ihm, er hat mich bestellt!
    Viel Glück, vielleicht ist er guter Laune!
    Ja, das würde passen, ich will ihn doch bitten um einen Passierschein. Ich muß doch wohl hinüber in die Stadt jetzt!
    Ach, wenn es Ihnen gelänge, einen Schein zu kriegen, das wäre vorzüglich!
    Susanna stellte sich, als liege ihr nichts anderes im Sinn, sie sagte: Ich habe so sehr auf die Möglichkeit gewartet!
    Von der anderen Seite näherte sich Kolja dem Reich der Waldfeen, aber ihn machte es ungeduldig, den Zauber zu sehen. Schon im Wald hatten ihn die Axtschläge und die Lieder der kleinen Trupps beunruhigt und hin- und hergescheucht, Lieder, die er kannte, einst selbst gesungen hatte, – aber nun wollte er sie nicht hören. Er war die Einsamkeit gewöhnt von den Tagen zuvor, die Einheimischen hatten ihn nicht gehindert in seinem ziellosen Kreisen, sie waren ihm ausgewichen, waren verstummt und davongelaufen, und um ein Gesicht richtig zu sehen, hatte er es verfolgen müssen. Immer war es ein verschlossenes Gesicht gewesen, mißtrauisch, furchtsam, verschlagen, alle Männer sahen dem Bemelman ähnlich, wie sie die Achseln zuckten, keine Frau sah aus wie Kosanna, die Weiber kreischten, die Kinder fingen zu plärren an. Diese Leute, ein fremdes hinterhältiges Volk, wie es aus den Stuben quoll, sich hinter Zäunen verkrümelte, ihm verstohlen nachsah aus Fensterluken und Türritzen, aus den morschen Wabenbauten und Fliegenhöhlen. In dieses, ihm unzugängliche Reich war auch Kosanna verschwunden. Wie sollte er sie finden, selbst wenn er die Häuser ausleerte wie Schachteln! Manchmal hatte er Angst, er würde sie nicht mehr erkennen, sie hätte sich verwandelt, nun sie bei den ihren wieder eingekehrt war. Kolja schien es möglich, daß nur Liebe ihr ein ihm vertrautes Gesicht vorgehängt hatte, ein weißes Gesicht, vielleicht war es gar nicht wirklich, war ganz anders, als er es gekannt hatte, war erloschen zu einem nie gesehenen Gesicht. Oft hatte sich Kolja getäuscht, war einem wildfremden Gesicht nachgesprengt bis zur Haustür und hatte es verfolgt und erschreckt, – er selbst hatte sich die wirkliche Kosanna längst entstellt zu einem Gespenst. Da war sie ein künstlich gemachtes Wesen, aus kaltem bösen Stoff hergestellt, die Haut von Schamlosigkeit geheizt, der Mund pneumatisch klappernd, statt des Herzens hatte sie ein Uhrwerk besessen, aufgezogen für eine Frist, damit man sie für einen lebendigen Menschen hielt. Kolja mußte wissen, ob es sie gegeben hatte oder ob sie ein Geist war.
    Er

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