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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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hatte er seine Erkundung begonnen.
    Ein Hund? hatte Bemelman geantwortet und dem Leutnant zu verstehen gegeben, daß er nichts gesehen, sondern sich gefürchtet habe in jener Nacht hinter geschlossenen Läden. Ein wildernder Hund vielleicht, sagte er, und wenn er angeschossen worden ist, hat er sich wahrscheinlich noch in den Wald geschleppt und liegt dort jetzt als Aas.
    Kolja hatte stumm den Kopf geschüttelt und seinen Schimmel unter den Nußbaum gelenkt, wo Kosanna so oft gesessen und mit ihm geredet hatte. Er hatte noch nichts getrunken an dem Tag, nüchtern-ratlos hatte er mit seinen hellen Augen vor sich hingeblinzelt wie ein Kind in einem ganz fremden Land. In diesem Land waren wohl merkwürdige Dinge möglich, andere, als man mit Augen sah: einen Mann, den er selber verfolgt hatte, sollte es gar nicht geben, und eine Frau, die ihm hier als einziges Wesen nicht fremd gewesen war: ihm in der Sonne ihr liebes Gesicht zugewandt hatte, seelenvolle Augen und spielenden Ernst und immer freundlich und liebevoll, – die sollte es nie gegeben haben! Das Gute einfach verschluckt von dem fremden feindlichen Land?
    Dann hatte er getrunken, ein paarmal hintereinander und sich im Sattel gereckt, und nun war er nicht mehr ratlos. Dieses fremde Land hier – niemandem war zu trauen! Der Bauer log, alle logen, auch Kosanna. Oder war sie gezwungen worden von jenem anderen Mann? Das fiel ihm ein, eine Möglichkeit, was wußte denn er, ein Fremder, von den Fäden zwischen den Menschen hier? Und die Möglichkeit „gezwungen“ – dann konnte er noch immer gut von ihr denken! Er gab seinem Pferd die Sporen. Ich muß sie befreien, muß sie auskundschaften und ihr helfen!
    So ritt er nicht mit der Wahrheit dahin, wie Axel meinte, sondern mit Einbildungen. Sie saßen mit ihm im Sattel, als er sein Pferd am Rande der Sumpfwiese tränkte; sie lenkten ihm die Zügel, als er durch den Wald ritt. Hie und da hielt er an und fütterte sie mit Schnaps, und davon freilich veränderten sie sich, wurden schwer und hart, aus „gezwungen“ wurde „betrogen“, wie immer, wenn Kolja zuviel trank, wurde er böse, und als er ins Dorf kam, schleppte er sich mit der Last des Wortes „verraten“ dahin, zornig, eifersüchtig, sein Herz war verstummt, er war wieder Kolja mit der Flasche.
    Die Dorfleute sagten: Er ist wieder da, kommt er denn jetzt jeden Tag?
    Sie nahmen ihn als Exemplar einer Gattung, einer fremden unheimlichen Menschenart. Am Abend erzählten sie von ihm:
    Er sucht jemand. Er reitet auf dem Acker herum, und wenn irgendwo ein paar Leute sind, kreist er sie ein und sieht ihnen in die Gesichter. Oder er bleibt vor einem Fenster stehen, unheimlich lange, und keine Frau traut sich dann auf die Straße, weil er da gleich hinterher ist und sich ihr in den Weg stellt. Und sogar wo Kinder sind, reitet er hinzu und erschreckt sie. Wenn man ihm aber die Haustür zusperrt, schreit er: Alle heraus! und dann müssen sich die Leute vor ihm aufstellen, er fragt: Ist niemand mehr im Haus? Aber dann sieht er selber nach, geht ins Haus, ganz allein, und wenn er herauskommt, sieht er bloß wieder den Leuten in die Gesichter. Nein, genommen hat er nie etwas, und er will auch nicht essen, er sagt: Ich will trinken! Er geht ins Wirtshaus, setzt sich ans Fenster und beobachtet die Leute, die vorübergehen. Plötzlich springt er auf, bricht in ein Haus ein.
    So ähnlich hörte es an dem Abend der Kapitän, als er in der Jorhanschen Villa über seinen Briefordnern saß. Er hörte es auch von der jungen schwarzhaarigen Lehrerin aus dem Lager. Sein Adjutant Spasso hatte ihm die Lehrerin wieder herbeischaffen müssen.
    Der kleine brave Spasso mit dem Kindergesicht und der Stahlbrille hatte den Auftrag nur widerwillig ausgeführt. Er hatte die magere hübsche Person kaum angesehen, um so mehr hatte sie ihn angesehen und hatte auch unterwegs ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen versucht. Spasso aber hatte verlegen geschwiegen, und es war ihr ganz lächerlich vorgekommen, er schlug hinter seiner Stahlbrille sogar die Augen vor ihr nieder. Da war sie stehengeblieben und hatte sich sonderbar gegen seinen Arm gelehnt. Hast du eine Zigarette, hatte sie gesagt, und dann: Hast du noch eine Mama zuhaus, du hast wohl noch eine Mama, und zuletzt: Bin ich dir zu schlecht, ich bin dir wohl zu schlecht, weil du mir nicht antwortest und mich nicht einmal ansiehst! Da hatte Spasso sie dann doch angesehen und ihr eine Zigarette gegeben, er war rot geworden, aber nun hatte er

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