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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Tumler
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drüben, ich wüßte gar nicht, wie es drüben gehen sollte …
    Er hörte ihre Sprache, – er hörte ihre Stimme –, er sah, wie draußen im Hof ein Licht anging. Davon war ihr Kleid nun anders weiß als zuvor, so wie Schaum auf dem Wasser, oder Wollgrasblüten auf der Wiese, – das sah er ganz genau. Aus dem Flur kam Lachen, Schritte verhallten, aus einem Zimmer drangen Worte eines Radios. Susanna vernahm sie als Musik, sie schwieg. Aber dann waren es doch ihre eigenen Worte, und Jorhan hörte ihr zu, wie sie erzählte: von der Villa, wie sie beschlagnahmt worden war, und von dem Kapitän, der drin war, und von allen Umständen und Quartieren und allem Wechsel; – und Jorhan versuchte, es sich vorzustellen: den Kapitän mit einer Haarbürste und mit falschen Zähnen, und Leutnant Kolja, zu Pferde, auf einem Schimmel. Und dieser Kapitän hatte sich also getäuscht, Susanna war ihm weggelaufen, Jorhan traute es ihr zu; sie war keine gewöhnliche Frau, er war sogar stolz auf sie.
    Aber er mußte es sich nun doch auch als Bild vorstellen, er dachte: in unserem Hause. Er kannte das Zimmer: und wie geschieht das, ein Mann und eine Frau, Essen und Trinken und Nebeneinandersitzen, – wie weit geht das, wie gibt sie ihm zu verstehen, daß sie nicht will? Haben sie sich bloß unterhalten darüber? Ist sie einfach weggelaufen?
    Er sagte: Es muß doch schauerlich gewesen sein für dich!
    Ach, schauerlich, sagte sie und erzählte gleich weiter von Kolja: Nötigung, und Betrug, daran hing das Leben der Flüchtlinge; sie sagte: Ich bin hinaus, aber ich habe ihm gesagt, er ist mir zu betrunken, er soll am anderen Tag wiederkommen. Und in der Früh bin ich dann weg.
    Dann schwieg sie. Jorhan sah sie an. Das war also die Geschichte mit Kolja. Aber wie war eigentlich die Geschichte mit dem Kapitän? Er getraute sich nicht zu fragen. Er sah hinter dem Dunkel des Zimmers ihr weißes Kleid und ihr weißes Gesicht. Er sah, wie sie, ohne sich zu rühren, vor ihm stand. Er dachte: es ist nicht wahr, wie sie es sagt. Sie ist in unserem ehemaligen Haus nochmals gewesen. Aber ob es wahr ist oder nicht, – es ist beides schrecklich für sie. Er war voller Mitleid, aber zugleich dachte er immer: es ist nicht wahr.
    Er trat auf sie zu und streichelte ihr das Haar. Seine Finger verschoben den trockenen Haarsträhn und legten ihn auf die Wange. Er streichelte auch ihre Wange. Sie sah ihm an, was er dachte: er glaubt mir nicht, er hat Mitleid, gewiß, und mehr kann ich ja auch nicht verlangen. Daß er mir glaubt, kann ich nicht verlangen, von ihm nicht; und es würde mir auch nicht helfen, und das ist das Schreckliche, Unheilbare zwischen uns, sogar sein Mitleid ist mir zuwider.
    Sie sagte: Und das Schlimmste war dann – ich weiß nicht, ob du mich da verstehen kannst – für mich war das Schlimmste dann, daß mir niemand geglaubt hat, zum Beispiel Wilnow, der hat mir einfach nicht geglaubt, daß ich mit Kolja nichts gehabt habe!
    Jorhan hörte den Namen. Er hörte Vorsicht in ihrer Stimme, Ausweichen. Er versuchte zu erfassen, was sie sagte. Er dachte: das ist nun ihre dritte Geschichte. Er dachte zugleich: das ist ihr Haar und das ist ihre Wange, und ich rühre sie an. Wilnow? also der sollte ihr glauben, daß sie dem Leutnant Kolja nichts gewährt hat. Das sagt sie doch! Und ich wiederum soll ihr glauben, daß sie mit Wilnow nichts gehabt hat. Wenn ich ihr jetzt sage, Ja, – so hab ich vielleicht eine Chance! Ich müßte sagen, ich glaub dir! Ich könnte es sagen …
    Aber will sie das von mir hören? Spricht sie deshalb davon?
    Draußen die Lampe und herinnen die Couch, auf der Susanna nun deutlich die Sterne sah, und vom Flur her Schritte, Feierabend, Lachen, und irgendwoher Radiogeräusch. Jorhan dachte: die Kantine hat noch offen, ich will uns etwas zu trinken holen. Er sagte:
    Wieso Wilnow, was geht denn das alles Herrn von Wilnow an! Ich will uns jetzt was zu trinken holen!
    Sie dachte: er will mir nicht einmal zuhören, und mit seinem Mitleid ist es genau so. Dieses Mitleid ist Gleichgültigkeit. Einen Augenblick zögerte sie. Sollte sie ihn zurückhalten und ihm die ganze Wahrheit sagen? Der Schein der Lampe fiel voll auf ihr Gesicht, auf ihr Haar. Er sah es, einen Augenblick: ein Gesicht, das von lieblichem Geheimnis erfüllt war.
    Er dachte: sie ist eine wunderbare Seele, sie hat etwas, das ich nie ganz bekommen, das ich immer nur geahnt habe. Und gerade das habe ich geliebt! Was ist das an ihr? Wenn sie mich so ansieht –

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