Der schüchterne Junggeselle
und rang eine Weile nach Luft.
»Und wie ist Mrs. Waddingtons Telefonnummer?«
»Hempstead 4076.«
»Danke schön.«
»Wir werden im ›Roten Huhn‹ essen, ja?«
»Großartig.«
»Dort kann man es immer kriegen, wenn die Leute einen kennen.«
»Kennen die Leute Sie?«
»Intim.«
»Herrlich! Also, auf Wiedersehen.«
Hamilton Beamish blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken stehen, und als er sich dann wieder umdrehte, überraschte es ihn, Wachtmeister Garroway zu erblicken.
»Ich hatte Sie ganz vergessen«, sagte er. »Warten Sie doch mal, weshalb sind Sie gekommen?«
»Um Ihnen mein Gedicht vorzulesen, Sir.«
»Ach ja, natürlich.«
Der Polizist hustete bescheiden.
»Es ist bloß eine ganz kleine Sache, Mr. Beamish – eine Art Skizze, könnte man sagen, der New Yorker Straßen, wie sie sich einem Polizisten während seiner Reviergänge zeigen. Wenn Sie gestatten, möchte ich es Ihnen vorlesen.«
Wachtmeister Garroway bewegte seinen Adamsapfel ein- oder zweimal auf- und abwärts; dann schloß er die Augen und begann mit der Spezialstimme zu deklamieren, die er sonst für Zeugenaussagen vor Gericht reservierte.
»Straßen!«
»Das ist der Titel, was?«
»Jawohl, Sir. Und gleichzeitig die erste Zeile.«
Hamilton Beamish zuckte zusammen.
»Sind es freie Rhythmen?«
»Sir?«
»Reimt es sich nicht?«
»Nein, Sir. Sie sagten mir, Reime seien etwas Überholtes.«
»Habe ich das wirklich gesagt?«
»Doch, tatsächlich, Sir. Ich habe es sehr angenehm gefunden. Es scheint das Dichten ziemlich leicht zu machen.«
Hamilton Beamish sah ihn perplex an. Er glaubte, daß er es gesagt hatte, und doch erschien es ihm in seiner gehobenen Stimmung unfaßbar, daß er ein Mitgeschöpf von der reinen Freude, ›Herz‹ und ›Schmerz‹ zu reimen, wohlüberlegt ausgeschlossen haben sollte.
»Merkwürdig!« sagte er. »Sehr merkwürdig. Na, fangen Sie an.«
Wachtmeister Garroway machte noch einmal angestrengte Schlingbewegungen und schloß die Augen.
»Straßen!
Grause, grimmige, düstere Straßen!
Meilen harscher Straßen,
Ost, West, Nord
Und finster ziehend gen Süd;
Traurige, finstere, hoffnungsbare
Straßen!«
Hamilton Beamish zog die Augenbrauen hoch.
»Schmerzenden Herzens
Durchwandle ich die Jammerstraßen.«
»Warum?« fragte Hamilton Beamish.
»Das gehört zu meinem Dienst, Sir. Jedem Schutzmann ist ein bestimmter Teil der Stadt als Revier zugeteilt.«
»Ich meine, warum wandeln Sie schmerzenden Herzens?«
»Weil es blutet, Sir.«
»Blutet? Sie meinen Ihr Herz?«
»Jawohl, Sir. Mein Herz blutet. Ich betrachte all das düstere Leid und Weh, und da blutet mein Herz.«
»Schön, lesen Sie weiter. Es klingt mir sehr eigentümlich, aber lesen Sie weiter.«
»Graue Menschen seh ich schleichen vorüber
An mir mit verschlagenen, seitwärts gewandten Augen,
Die in mörderischem Hasse funkeln;
Aussätzige, welche die Straßen durchstreifen.«
Hamilton Beamish wollte etwas sagen, unterdrückte es aber wieder.
»Männer, die Männer waren einst,
Frauen, die Frauen waren einst,
Kinder gleich welken Affen,
Und Hunde, die knurren und schnappen und hassen.
Straßen! Ekle, faulende Straßen;
Ich durchwandle die modernden Straßen
Und verlange nach dem Tode.«
Wachtmeister Garroway schloß und öffnete die Augen; Hamilton Beamish ging auf ihn zu und schlug ihm kräftig auf die Schulter.
»Ich begreife alles«, sagte er. »Sie haben es mit der Leber. Sagen Sie, haben Sie örtliche Schmerzen und Empfindlichkeiten?«
»Nein, Sir.«
»Hohe Temperatur, begleitet von gelegentlichem Schüttelfrost?«
»Nein, Sir.«
»Dann haben Sie keinen Leberabszeß. Es wird wohl, vermute ich, nichts weiter sein als eine kleine Speiseröhrenstörung, die ohne weiteres behoben werden kann. Mein lieber Garroway, es muß Ihnen doch klar sein, daß dieses Gedicht ganz verfehlt ist. Es ist lächerlich von Ihnen, zu behaupten, daß Sie auf Ihren Rundgängen nicht einen einzigen netten Menschen sehen. Die Straßen New Yorks sind voll reizender Leute. Das ist mir überall aufgefallen. Sie haben eben alles mit unfreundlichen Augen gesehen.«
»Aber Sie sagten mir doch, ich soll bitter und beißend sein, Mr. Beamish.«
»Gar keine Rede. Sie müssen mich mißverstanden haben. Bitterkeit hat in Gedichten nichts zu suchen. Ein Gedicht muß etwas Schönes, Zauberhaftes und Gefühlvolles sein, zum Vorwurf muß es die süßeste und göttlichste aller menschlichen Empfindungen haben
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