Der schüchterne Junggeselle
Mr. Finch. Hahaha! Der Herr sind ein sehr spaßiger Herr.«
Am liebsten hätte George dem Kerl einen Fußtritt gegeben. Wenn die modernen Italiener so sind, dachte er, dann ist es kein Wunder, daß das Land eine Diktatur braucht.
»Nehmen Sie es wieder weg«, sagte er zitternd. »Ich will es nicht in einer Kaffeekanne.«
»Wir servieren den Whisky immer in der Kaffeekanne. Das wissen Sie doch.«
Der andere erhob sich langsam, auf seinem Gesicht stand eine seltsam entschlossene und drohende Miene.
»Sie sind …«
George wußte, welches Wort kommen sollte. »Verhaftet.« Doch es wurde niemals ausgesprochen. George handelte mit überraschender Plötzlichkeit. Er war für gewöhnlich kein gewalttätiger Mensch, aber es gibt Gelegenheiten, denen nur mit Gewalttätigkeit beizukommen ist. Mit Blitzesgeschwindigkeit malte sich in seinem Geist ab, was geschehen würde, wenn er nicht rasch und energisch handelte. Er würde arretiert, ins Gefängnis gebracht, in ein unterirdisches Verließ geworfen werden. Und Molly würde bei ihrem Wiederkommen niemand finden, der sie begrüßte und – was noch schlimmer war – niemand, der sie morgen heiraten würde.
George zauderte nicht. Er packte das Tischtuch und schwang es in einem scheußlichen Wirbel von Apfelkuchen, Eiswasser, Brot, Kartoffeln, Salat und Poulet rôti durch die Luft. Er hob es hoch empor wie ein Retiarius in der Arena und ließ es als einhüllende Masse auf den Kopf des Polizisten niedersausen. Interessierte Ausrufe wurden ringsum laut. Das »Rote Huhn« war eines jener netten Lokale, in denen Künstlerspäßchen an der Tagesordnung waren, doch auch hier kam es nur ganz selten zu derartigen Vorfällen.
In den Reihen der New Yorker Polizei gibt es keine Feiglinge. Aus dem Tischtuch arbeitete sich eine Hand heraus, die nach Georges Schulter faßte. Eine zweite Hand packte ihn nicht weit von seinem Kragen. Die Finger der ersten Hand ließen nicht locker.
George war nicht in der Laune, sich etwas Derartiges gefallen zu lassen. Er holte aus und schlug mit einem harten Gegenstand zu.
»Casta dimura salve e pura! So ist es recht! Noch eins!« rief der Kellner Giuseppe, der jetzt zur Überzeugung gekommen war, daß der Mann im Tischtuch dem »Roten Huhn« nicht wohlwolle.
George befolgte seinen Rat. Das Tischtuch wurde noch aufgeregter. Die Hand fiel von seiner Schulter herab.
In diesem Augenblick kam ein lärmendes Stimmengewirr aus dem Vorderzimmer, und alle Lampen gingen aus.
Etwas Besseres hätte George sich gar nicht wünschen können. Er sprang zur Feuerleiter und kletterte ebenso schnell hinauf wie Mrs. Waddington vor kurzem hinunter. Er gelangte auf das Dach und blieb einen Augenblick lauschend stehen. Dann hörte er durch den Lärm, daß jemand ihm nachstieg, lief in die Schlafveranda und verkroch sich unter dem Bett. In seiner Wohnung Zuflucht zu suchen, erkannte er als sinnlos. Dorthin würde der Verfolger zuerst kommen.
Atemlos lag er da. Schritte kamen zur Tür. Die Tür öffnete sich, und es wurde Licht gemacht.
2
Als George annahm, daß er verfolgt werde, hatte er sich in einem verzeihlichen Irrtum befunden. Dank einigen Umständen war seine Flucht aus dem »Roten Huhn« unbemerkt geblieben.
Erstens hatte Giuseppe Wachtmeister Garroway, gerade als dieser seinen Kopf fast schon aus dem Tischtuch befreit hatte, in nicht genug zu lobender Loyalität mit der Kaffeekanne ins Auge geschlagen. Dies hatte den Polizisten von neuem verwirrt, und als er wieder imstande war, klar zu denken, gingen die Lampen zum zweitenmal aus.
Gleichzeitig hatte sich der Mond, der natürlich auf Georges Seite stand, hinter eine dichte Wolke zurückgezogen und war dort geblieben.
Was er auf der Feuerleiter gehört hatte, war ein Paar, das wie er selbst nur daran dachte, sich rasch aus der Gefahrenzone zu entfernen. Es waren Madame Eulalie und J. Hamilton Beamish.
Dieser war mit seiner künftigen Frau einige Minuten später als George in das »Rote Huhn« gekommen, hatte sich aber nicht wie sein Freund damit abgefunden, daß alles besetzt war. Er ließ sich einen Tisch in den kleinen Durchgang stellen, der von dem Vorderzimmer zum Garten führte.
Zunächst schien diese Situation nur Nachteile zu haben. Die vorüberkommenden Kellner waren gezwungen, immer wieder gegen Mr. Beamishs Stuhl zu stoßen, was nichts weniger als angenehm ist, wenn man sich mit dem geliebten Mädchen unterhalten will. Doch es sollte die Zeit kommen, da alle Unannehmlichkeiten durch taktische
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