Der schüchterne Junggeselle
Vorteile wettgemacht wurden. Als die Razzia sozusagen offiziell begann, bediente Hamilton Beamish die Dame seines Herzens mit einem Getränk, das der Versicherung der Geschäftsleitung nach Champagner sein sollte. In dieser Beschäftigung unterbrachen ihn eine große Hand, die sich schwer auf seine Schulter legte, und eine barsche Stimme, die ihm mitteilte, daß er verhaftet sei.
Im gleichen Augenblick gingen die Lampen aus. Vom Tisch zur Feuerleiter waren nur wenige Schritte; Hamilton Beamish nahm seine Braut an der Hand, zog sie hin, stellte ihren Fuß auf die unterste Sprosse und gab ihr einen Stups aufwärts, der jedes Mißverständnis ausschloß.
Jetzt standen sie oben und blickten hinunter. Die Lampen des »Roten Huhns« brannten noch immer nicht, und aus der Dunkelheit stieg ein wirrer Lärm empor, der verriet, daß es ziemlich derb zuging.
»Ich werde mir nie verzeihen«, sagte Hamilton Beamish, »daß ich dich solchen Dingen ausgesetzt habe.«
»Ach, es hat mir wirklich Spaß gemacht.«
»Na, da es Gott sei Dank gut ausgegangen ist …«
»Es kommt jemand herauf! Was sollen wir tun? Über die Treppe hinuntergehen?«
Hamilton Beamish schüttelte den Kopf.
»Das Haustor wird höchstwahrscheinlich überwacht sein.«
Er nahm seine Braut am Arm und drehte sie herum.
»Schau dir das an.«
»Was?«
»Das da!«
»Wo?«
»Dort.«
»Was denn? Ich verstehe nicht. Wo soll ich denn hinschauen?«
»Wohin soll ich sehen«, verbesserte Hamilton Beamish mechanisch. Er führte sie quer über das Dach. »Siehst du die Laube dort? Das ist George Finchs Schlafveranda. Geh hinein, versperre die Tür, mache Licht …«
»Aber …«
»Und zieh dir einen Teil deiner Kleider aus.«
»Was!«
»Und wenn jemand kommt, dann sage, daß George Finch dir seine Wohnung vermietet hat und daß du dich zum Ausgehen umziehst. Ich werde unterdessen zu mir hinuntergehen und nach einigen Minuten heraufkommen, um zu sehen, ob ich dich schon zum Essen abholen kann.«
Das Mädchen blickte ihn bewundernd an und rief:
»Jimmy, das ist fabelhaft!«
»Ja. Also mach rasch. Es ist keine Zeit zu verlieren.«
3
Das erste, was George Finch, als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erblickte, war ein Bein. Es war in einen durchsichtigen Seidenstrumpf gekleidet, und sofort gesellte sich ein zweites, ebenso gekleidetes Bein dazu. Geraume Zeit ragten diese Knöchel trotz ihrer Zartheit so breit in Georges Welt, daß man sagen kann, sie füllten seinen ganzen Horizont aus. Dann verschwanden sie.
Bevor dies geschah, hätte George, der sich bescheiden an die Wand drückte, gesagt, nichts könnte ihm lieber sein, als daß die Knöchel verschwänden. Als dies aber Tatsache wurde, konnte er nur mühsam einen Schrei des Entsetzens unterdrücken. Denn die Ursache für ihr Verschwinden war, daß ein Kleid aus zartem Material über sie fiel.
Es war ein Kleid, das von Feenscheren aus Mondstrahlen und Weitenstaub geschnitten zu sein schien, und in einem Schaufenster hätte George es bewundert. Jetzt aber errötete er so heftig, daß er das Gefühl hatte, sein Gesicht müßte den Teppich versengen. Er schloß die Augen und biß die Zähne aufeinander. War dies, so fragte er sich, das Ende oder erst der Anfang?
»Ja?« sagte plötzlich eine Stimme.
Als George wieder denken konnte, begriff er, daß diese Stimme auf ein scharfes und gebieterisches Pochen an der Tür geantwortet hatte.
»Aufmachen da!«
Die Besitzerin der zarten Knöchel war offenbar ein mutiges Mädchen.
»Nein«, sagte sie. »Ich bin beim Ankleiden.«
»Wer sind Sie?«
»Wer sind Sie?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Schön, dann geht es Sie auch nichts an, wer ich bin!«
»Was machen Sie da drin?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich mich ankleide.«
»Was soll denn das hier heißen?« fragte jetzt eine dritte Stimme.
George erkannte die Stimme seines alten Freundes Hamilton Beamish.
»Garroway«, sagte dieser geärgert und streng, »was treiben Sie sich denn hier vor der Tür dieser Dame herum? Ich weiß wirklich bald nicht mehr, worin eigentlich der Dienst der New Yorker Polizei besteht. Ihr Leben scheint nichts als Müßiggang zu sein. Hat sie nichts anderes zu tun, als herumbummeln und Frauen belästigen? Ist Ihnen bekannt, daß die Dame dort drinnen meine Verlobte ist und sich umkleidet, um mit mir dinieren zu gehen?«
Wachtmeister Garroway beugte sich wie immer vor der höheren Intelligenz. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung,
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