Der schüchterne Junggeselle
mein Herz.«
»Auf der Feuerleiter? Wieso, wer sollte das denn sein?«
»Ich dachte, es könnte der Mann aus der Wohnung unter mir sein. Ein schauderhafter, schnüffelnder, schleichender Kerl, der Lancelot Biffin heißt. Er ist schon einmal heraufgeklettert. Er ist der Herausgeber des ›Stadtklatsch‹, und er dürfte uns zu allerletzt hier sehen.« ’
Molly stieß einen Schreckensruf aus.
»Bist du ganz sicher, daß er nicht da war?«
»Ja.«
»Es wäre schrecklich, wenn mich jemand hier sähe.«
»Hab keine Angst. Selbst wenn er dich gesehen hätte, würde er nie erraten können, wer du bist.«
»Du meinst, er wäre natürlich darauf gefaßt, daß du hier oben irgendein Mädel küßt? Na ja, nach dem, was sich heute nachmittag abgespielt hat …«
»Ich schwöre dir«, begann George verzweifelt.
Molly war entzückt. Sie liebte diesen jungen Mann am innigsten, wenn er komisch aussah, und so komisch war er noch nie gewesen.
»Ich schwöre dir mit dem feierlichsten Eid, daß ich dieses verdammte Mädel zum erstenmal in meinem Leben gesehen habe.«
»Sie schien dich ganz gut zu kennen.«
»Sie war mir ganz fremd.«
»Bist du sicher? Vielleicht hast du sie bloß vergessen.«
»Ich schwöre es«, sagte George und unterdrückte gerade noch die Worte ›beim Mond dort oben‹. »Willst du wissen, was ich glaube?«
»O ja.«
»Ich glaube, sie war wahnsinnig. Ganz einfach wahnsinnig.«
»Armer Georgie«, sagte Molly beruhigend. »Du hast doch nicht einen Augenblick gemeint, daß ich auch nur ein Wort davon geglaubt habe, was sie gesagt hat?«
»Was! Nein?«
»Natürlich nicht.«
»Du hast sofort gesehen, daß das Mädchen wahnsinnig ist, ja? Du hast augenblicklich begriffen, daß sie von irgend etwas besessen ist …«
»Nein, das nicht. Ich konnte zuerst nicht begreifen, was das Ganze bedeuten soll, und dann erzählte Vater, daß mein Perlenkollier verschwunden ist, und da war mir alles klar.«
»Dein Perlenkollier? Verschwunden?«
»Sie hat es gestohlen. Sie war eine Diebin. Verstehst du nicht? Sie war wirklich furchtbar geschickt. Anders hätte sie es gar nicht kriegen können.«
George ballte die Fäuste und warf wütende Blicke auf die Topfpflanzen.
»Wenn mir dieses Mädel jemals unter die Augen …«
Molly lachte.
»Mutter läßt sich noch immer nicht nehmen, daß du sie gekannt hast und daß ihre Geschichte wahr ist und daß sie das Kollier nur so zufällig genommen hat. Ist Mutter nicht komisch?«
»Komisch«, sagte George bitterernst, »ist nicht das richtige Wort. Wenn du wissen willst, was ich von dieser Gottesgeißel halte, dann muß ich dir sagen … Aber jetzt haben wir keine Zeit, uns damit zu beschäftigen.«
»Nein. Ich muß fort.«
»O nein!«
»Ja. Ich muß nach Hause und packen.«
»Packen?«
»Bloß eine Tasche.«
Der Boden wankte unter Georges Füßen.
»Soll das heißen, daß du fortgehst?«
»Ja. Morgen.«
»Mein Gott! Auf lange?«
»Für immer. Mit dir.«
»Mit …?«
»Natürlich. Begreifst du nicht? Ich gehe jetzt nach Hause und packe eine Tasche. Dann fahre ich nach New York zurück und übernachte in einem Hotel; morgen ganz früh lassen wir uns trauen, und am Nachmittag fahren wir fort.«
»Molly!«
»Sieh dir den Mond an. Jetzt sollte er durch unser Coupéfenster hereinscheinen.«
»Ja.«
»Na, morgen wird es noch derselbe Mond sein.«
»Und vor einer halben Stunde dachte ich noch, ich würde dich nie wiedersehen.«
»Komm, begleite mich zum Wagen hinunter«, sagte Molly eifrig.
Sie gingen die Treppe hinab. Infolge der Exzentrizität des Fahrstuhls hatte George den Weg über diese Treppe schon oft hinauf und hinunter machen müssen; aber jetzt erst bemerkte er etwas, was diese Treppe von allen anderen unterschied. Sie war von Rosen- und Geisblatthecken eingefaßt, in denen viel mehr Vögel sangen, als man in einem gewöhnlichen Haus erwarten konnte. Seltsam. Und doch war es, wie er augenblicklich einsah, nur in der Ordnung.
Molly stieg in den Zweisitzer, und George sagte etwas, was ihm eben eingefallen war.
»Ich kann nicht einsehen, warum du dich so beeilen mußt.«
»Ich muß packen und wieder fort sein, bevor Mutter nach Hause kommt.«
»Ist diese verda … Ist deine Stiefmutter in New York?«
»Ja. Sie ist zur Polizei gegangen, und jetzt ist sie wahrscheinlich schon wieder auf dem Heimweg.«
»Meinst du nicht, daß wir noch Zeit hätten, irgendwo eine Kleinigkeit zu essen? In einem ganz kleinen stillen Restaurant?«
»Du lieber
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