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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. G. Wodehouse
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Himmel, nein! Es ist schon jetzt sehr gefährlich.« Sie sah ihn aufmerksam an. »Aber, Georgie, du bist ja ganz verhungert. Du siehst ganz blaß und elend aus. Wann hast du zum letztenmal gegessen?«
    »Gegessen? Gegessen? Ich weiß nicht.«
    »Was hast du den ganzen Nachmittag gemacht?«
    »Ich – also, ich bin eine Zeitlang herumgelaufen. Und dann habe ich mich eine Weile im Gebüsch versteckt, weil ich hoffte, daß du herauskommen würdest. Und – ich glaube, ich bin zur Bahn gegangen und in einen Zug gestiegen oder so etwas.«
    »Du armer Kerl! Geh sofort etwas essen.«
    »Warum kann ich nicht mit dir nach Hempstead fahren?«
    »Weil du nicht kannst.«
    »Wo wirst du übernachten?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber bevor ich ins Hotel gehe, werde ich auf eine Minute zu dir kommen.«
    »Was, hierher? Du willst herkommen?«
    »Ja.«
    »Du willst hierher zurückkommen?«
    »Ja.«
    »Versprichst du es mir?«
    »Ja, wenn du etwas essen gehst. Du siehst schauderhaft aus.«
    »Essen? Gut, ich werde essen.«
    »Vergiß es nicht. Wenn ich zurückkomme und du noch nicht gegessen hast, fahre ich sofort wieder nach Hause und heirate dich in meinem ganzen Leben nicht mehr. Auf Wiedersehen, Lieber, ich muß jetzt weg.«
    Der Zweisitzer setzte sich in Bewegung und bog zum Washington Square ein. George blickte ihm noch lange nach, als außer der leeren Straße nichts mehr zu sehen war. Dann machte er sich wie ein Ritter, dem seine Dame eine Aufgabe gestellt hat, auf den Weg, um irgendwo zu essen. Sie hatte natürlich ganz unrecht; denn was er tun wollte, und was ihm auch jeder gute Arzt geraten hätte, war nichts anderes, als wieder auf das Dach zu gehen und den Mond anzuschauen. Doch ihr kleinster Wunsch war ihm Gesetz.
    Wo konnte er seine widerwärtige Aufgabe mit dem geringsten Zeitverlust ausführen?
    Das »Rote Huhn«. Das war gleich an der Ecke, und ein entschlossener Mann konnte dort in ungefähr zehn Minuten eine Mahlzeit verschlingen – und das hieß den Mond nicht allzulange warten lassen.
    Überdies konnte man im »Roten Huhn«
    »Es« bekommen, wenn die Leute einen kannten. Und George hatte, obgleich er ein enthaltsamer junger Mann war, das Gefühl, daß »Es« das Gebot der Stunde war. Bei einem derartigen Anlaß hätte er natürlich eigentlich goldenen Nektar aus einem seltenen alten Kristall schlürfen müssen; aber in Ermanglung dessen war Whisky, in einer Kaffeekanne serviert, vielleicht das Nächstbeste.

SECHZEHNTES KAPITEL
1
    Das »Rote Huhn« schien einen großen Abend zu haben. Der Raum, der direkt auf die Straße ging, war so überfüllt, daß George keinen Tisch bekommen konnte. Er hoffte, in dem dahinter liegenden Garten Platz zu finden, und während er das Zimmer durchschritt, fiel ihm auf, daß viele der Gäste besonders kräftig gebaut waren. In der Regel versorgte das »Rote Huhn« die Intelligenz der Nachbarschaft, und diese pflegte nicht so entwickelte Muskeln und Sehnen zu besitzen.
    Auch draußen war kein Tisch frei. Doch an einem, der an der Hintermauer des Sheridan-Gebäudes, nur wenige Schritt von der Feuerleiter entfernt, stand, saß ein einzelner Gast. Auf diesen ging George zu, sein Gesicht in möglichst gewinnende Falten legend.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, »gestatten Sie, daß ich an Ihren Tisch komme?«
    Der andere blickte von seinem Poulet rôti aux pommes de terre und Salade Bruxelloise auf; er hatte den Oberleib eines Zirkusriesen, und die Hände, die Gabel und Messer hielten, zeichneten sich durch dieselbe Größe aus, die George schon an den Gästen im Vorderzimmer aufgefallen war. Nur seine Augen unterschieden sich von denen der anderen. Diese hatten Augen mit einem besonders stahlharten und unfreundlichen Blick, Augen, die ein Automobilist unverzüglich mit Verkehrspolizisten und ein Berufsdieb mit Berufsdetektiven in Verbindung bringt. Der Blick des Mannes an diesem Tisch war sanft und freundlich, und seine Augen hätten geradezu anziehend ausgesehen, wären sie nicht rotgerändert und entzündet gewesen.
    »Oh, ich bitte sehr, Sir«, antwortete er auf Georges höfliche Frage.
    »Sehr voll heute abend.«
    »Außerordentlich.«
    »Wenn Sie also nichts dagegen haben, werde ich mich zu Ihnen setzen.«
    »Es ist mir ein Vergnügen«, sagte der andere.
    George sah sich nach einem Kellner um und fand, daß einer an seinem Ellbogen stand. Das »Rote Huhn« mochte noch so voll sein, alte Stammgäste wurden vom Personal niemals vernachlässigt.
    »Guten Abend, der

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