Der Schuldige: Roman (German Edition)
Normalerweise muss ich etwas Müll wegräumen, und das machte ich als Nächstes. Und als ich das tat, fand ich … die Kinderleiche.«
»Der Leichnam wurde später als der des Opfers, Benjamin Stokes, identifiziert. Können Sie uns die genaue Lage des Leichnams beschreiben, als Sie ihn fanden?«
»Er lag teilweise unter dem kleinen hölzernen Spielhaus versteckt, das auf dem Spielplatz in der hinteren Ecke nahe Barnsbury Road und Copenhagen Street steht.«
»An dieser Stelle möchte ich Sie auf Seite dreiundfünfzig in den Geschworenenunterlagen verweisen. Dort finden Sie einen Plan des Spielplatzes, der in mit Zahlen und Buchstaben gekennzeichnete Bereiche unterteilt ist. Würden Sie uns bitte die ungefähre Lage auf diesem Plan angeben?«
»E3.«
»Danke. Haben Sie den Leichnam sofort als solchen erkannt?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich sah, dass da was lag, aber um ehrlich zu sein, dachte ich, es wäre bloß eine Plastiktragetasche oder so was, Müll, der sich zwischen den Bäumen nahe am Zaun verfangen hatte …«
Auf der Galerie hörte man ein Keuchen. Daniel blickte nach oben und sah Mrs. Stokes, die sich nach vorn beugte, eine Hand vor dem Mund. Ihr Mann zog sie an sich, aber sie war inzwischen völlig aufgelöst und musste nach draußen geführt werden. Sebastian setzte sich kerzengerade auf und hielt die Hände im Schoß gefaltet. Er schien interessiert an der Aussage des Platzwarts und auch seltsam erfreut über den Zusammenbruch von Mrs. Stokes. Daniel legte ihm eine Hand auf den Rücken, um ihn zu bitten, wieder nach vorn zu sehen, nachdem er sich umgedreht hatte, um Mrs. Stokes’ Abgang zu beobachten.
Kenneth Croll saß im Gerichtssaal, und in dem Moment beugte er sich vor, wofür er sich von seinem Sitz erhob, und pikte Sebastian in den Rücken. Der dicke Finger reichte aus, um Sebastian auf seinem Platz mit einem Ruck nach vorn rutschen zu lassen. Daniel beobachtete Croll aus den Augenwinkeln. Sebastian begann wieder, seine Augen nach oben zu verdrehen und leicht vor und zurück zu schaukeln.
Die Journalisten auf der Galerie hatten es bemerkt. Und auch die Geschworenen.
»Fahren Sie bitte fort, Mr. Cairns«, half Jones weiter.
»Na ja, als ich näher kam, sah ich die Turnschuhe des Jungen, und wieder … war mein erster Gedanke, es wären ausrangierte Schuhe und Hosen, die man vielleicht über den Zaun geworfen hatte. So was gibt’s ja … Aber als ich darauf zutrat …«
»Wir haben Fotos von der Leiche in dem Zustand, als Sie sie fanden. Wenn die Geschworenen bitte Seite drei ihrer Unterlagen aufschlagen würden.«
Daniel beobachtete, wie die Geschworenen das Foto betrachteten, vor Abscheu die Hände vor den Mund geschlagen, obgleich ihnen Schlimmeres bevorstand. Sebastian betrachtete ihre Gesichter. Zugleich zeichnete er mit seinem Kugelschreiber – Bäume.
»Mr. Cairns, es tut mir leid, wenn ich so in Sie dringe, ich weiß, es muss Sie aufwühlen, sich daran zu erinnern, aber wenn Sie damit fortfahren könnten, uns zu erzählen, was Sie sahen.«
»Tja, als ich näher kam, sah ich, dass es kein Kleiderbündel war, sondern vielmehr ein kleiner Junge, unter dem Holzhaus.«
»Sie sahen sofort, dass es ein Junge war?«
»Nein, ich sah seine Beine rausragen. Sein Gesicht lag unter dem Haus versteckt, aber ich merkte, dass es ein Kind war.«
»Was haben Sie da gemacht?«
»Ich kroch unter die Bäume und legte mich dann auf den Bauch, um ihn unter dem Holzhaus hervorzuziehen, aber als ich mich näherte, merkte ich …«
»Ja, Mr. Cairns?«
»Na ja, ich merkte, dass er tot war, darum wagte ich nicht, ihn anzufassen. Ich ging sofort rein und rief die Polizei.«
»Wussten Sie, dass ein kleiner Junge vermisst wurde?«
»Tja, ich wohne nicht in der Gegend, aber als ich am Morgen zur Arbeit kam, sah ich die Fotos und dann den Einsatzwagen. Ich hatte keine Nachrichten gesehen. Ich wusste nicht, um was es bei dem allen ging …«
»Sie haben uns gerade geschildert, wie Sie zu dem Leichnam vorgedrungen sind«, Jones schob sich seine Brille auf die Nase, hielt seine Notizen auf Armeslänge von sich weg und las: »›auf dem Bauch … kriechend‹.« Er setzte die Brille ab und beugte sich an seinem Pult nach vorn. »Es wäre also korrekt, wenn man sagte, dass das Areal, wo die Leiche gefunden wurde, für einen Erwachsenen schwierig zu erreichen war?«
»Sehr schwierig, es ist total zugewachsen. Ich denke, deshalb war die Leiche nicht zu sehen. Ich bin nur froh, dass ich es war, der ihn
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