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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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überreagieren.«
    Irene stand wieder auf. »Euer Ehren, ich muss wirklich Einspruch erheben. Der Zeuge hat ausgesagt, dass mein Mandant nicht unter Asperger leidet , und daher ziehe ich erneut die Sachdienlichkeit der Erkundung dieser typischen Symptomatologie in Zweifel.«
    »Miss Clarke, der Zeuge hat ausgesagt, dass der Beschuldigte eine Reihe von Asperger-Merkmalen aufweist, und deshalb werden wir diese Erörterung als Erklärung der fraglichen Merkmale zu Ende anhören.«
    Irene setzte sich. Daniel beobachtete sie. Sie hatte die Schultern vor Anspannung hochgezogen.
    »Danke, Euer Ehren«, sagte Jones. »Also, sagen Sie uns, Dr. Baird, weist Sebastian irgendwelche dieser typischen Asperger-Verhaltensformen und -probleme auf?«
    »Ja, einige, aber nicht alle.«
    »Wie steht es mit der Hyperfokussierung auf ein einziges Thema? Stellten Sie fest, dass Sebastian an einem bestimmten Thema zutiefst interessiert ist …?«
    Baird wurde rot. Er sah zu Irene hinüber.
    »Dr. Baird?«
    »Nun, ich bemerkte in der Tat ein vertieftes Interesse … war mir aber nicht sicher, ob das als hyperfokussiertes Interesse zu bezeichnen ist. Ich müsste ihn über einen längeren Zeitraum beobachten.«
    »Ich verstehe … Was fanden Sie heraus, woran Sebastian verstärkt interessiert ist?«
    Als er hörte, dass sein Name in so bedeutsamem Tonfall genannt wurde, setzte sich Sebastian gerade hin. Er blickte zu Daniel hoch und lächelte.
    »Er hat etwas, was man eine morbide Neugier nennen könnte.«
    »In welcher Hinsicht? Worauf genau ist er in morbider Weise neugierig?«
    »Er scheint sehr interessiert an Blut, Tod und Verletzungen zu sein … Auch hier wiederum bin ich mir nicht sicher. Ich müsste sein Verhalten weiter beobachten, aber ich möchte ein Gespräch zitieren, das wir über die Fehlgeburt seiner Mutter geführt haben.«
    »Warum hat Sie das beunruhigt?«
    Irene sprang auf. »Euer Ehren, ich muss wirklich Einspruch erheben: Mein geschätzter Herr Kollege legt dem Zeugen Worte in den Mund. Er hat nicht ausgesagt, in irgendeiner Weise beunruhigt gewesen zu sein.«
    Jones nickte Irene zu und formulierte seine Frage um: »Sagen Sie uns, was das Gespräch über die Fehlgeburt seiner Mutter gezeigt hat, Dr. Baird?«
    »Nun, ich fand, dass seine Kenntnisse detaillierter waren, als man erwarten würde, und auch irgendwie unangemessen, vor allem für ein Kind seines Alters … aber noch einmal, dies ist keineswegs maßgeblich.«
    Daniel sah, dass Irene hastig Notizen auf ihren Schreibblock kritzelte. Er wusste, sie würde im Kreuzverhör auf dieses Thema zurückkommen.
    »Ich verstehe, nicht maßgeblich . Erzählen Sie uns etwas über Sebastians Fähigkeit, mit sozialer Kommunikation umzugehen.«
    »Ja, mit sozialer Kommunikation und sozialer Interaktion scheint er Probleme zu haben …«
    »Dennoch haben Sie nicht Asperger diagnostiziert, son dern …«, wieder verzog Jones sein Gesicht, um von seinen Notizen abzulesen, »… PDD - NOS . In meinen Laienaugen wirkt er wie das Modellbeispiel eines Kindes mit Asperger-Syndrom. Warum ist das nicht so?«
    »Nun … Sebastian zeigte zweifellos eine Fähigkeit zu sozialer Imagination … nicht nur eine Fähigkeit, sondern in der Tat eine Begabung dafür. Dies wurde sehr deutlich in einem Rollenspiel, das wir durchgeführt haben. Es war dieses Fehlen von … einem der Hauptsymptome bei Asperger, was mich dazu geführt hat, dass ich mit der früheren Diagnose nicht übereinstimmte. Stattdessen zog ich nach näherer Überlegung in Betracht, dass er PDD - NOS haben könnte.«
    »Und was genau ist soziale Imagination?«
    »Im Wesentlichen ist es die Fähigkeit, sich eine Reihe möglicher Folgen einer Situation vorzustellen – insbesondere einer sozialen Situation. Viele Menschen mit Asperger können kreativ sein, aber ein typisches Symptom dieses Syndroms ist die Unfähigkeit, sich unterschiedliche Folgen von geschilderten Situationen vorzustellen oder … vorauszusehen, was als Nächstes geschehen wird. Oft haben sie Schwierigkeiten herauszufinden, was andere Leute wissen.«
    »Ich verstehe.« Jones stand jetzt aufrecht da, schwenkte seine Robe und sah die Geschworenen direkt an. »Sagen Sie, Dr. Baird, ist soziale Imagination für jemanden wichtig, um ein guter Lügner zu sein?«
    Daniel hielt den Atem an. Jones hatte bei den letzten Worten seine Stimme erhoben. Daniel blickte auf. Das Schlurfen und Murmeln im Gerichtssaal war verstummt. Baird schluckte. Daniel sah, wie sein Blick zu Irene

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