Der Schuldige: Roman (German Edition)
Sie.«
Als Charlotte aufgerufen wurde, war sie gefasst, aber Daniel hielt trotzdem den Atem an, als er sie zu dem Zeugenstand gehen sah. Die Umrisse ihrer Ellbogen waren durch die Ärmel ihrer Jacke sichtbar. Sebastian beugte sich vor, die Hände vor sich auf dem Tisch, als versuche er, sie nach ihr auszustrecken. Charlotte räusperte sich und trank einen Schluck Wasser. Von Weitem wirkte sie zerbrechlich, aber auffallend schön, die Gesichtszüge ebenmäßig und die Augen riesig.
Irene begann ihre Befragung freundlich und zwanglos. Sie stützte einen Ellbogen auf das Pult und sprach Charlotte in einem vertraulichen, liebenswürdigen Ton an, obwohl die beiden Frauen nur kurz miteinander gesprochen hatten.
»Nur ein paar kurze Fragen … Können Sie uns sagen, woran Sie sich von dem Tag des achten August dieses Jahres erinnern?«
»Ja«, sagte Charlotte, zuerst leise, aber bald gewann sie an Selbstvertrauen. »Ich fühlte mich an dem Tag nicht sehr gut. Mein Mann war im Ausland, und nachdem ich Sebastian sein Mittagessen gemacht hatte, beschloss ich, mich etwas hinzulegen.«
»Was hat Sebastian an dem Tag gemacht?«
»Na ja, er ging raus spielen, während ich mich hingelegt hatte.«
»Wussten Sie, wo er zum Spielen hinging?«
»Tja, normalerweise spielt er einfach auf der Straße, manchmal mit den Nachbarkindern, aber selbst wenn er in den Park geht, kann ich ihn oft vom Schlafzimmerfenster oben aus sehen, es ist so nahe.«
»Haben Sie ihn an dem Tag beim Spielen beobachtet?«
»Nein, ich habe mich einfach hingelegt. Ich hatte Kopfschmerzen.«
»Wann kam Sebastian wieder nach Hause?«
»Kurz vor drei.«
»Sie sind sich ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
»Und als er nach Hause kam, erschien er ihnen da anders, zum Beispiel sehr schmutzig – wies seine Kleidung sichtbare Flecken auf?«
»Nicht mehr als sonst.« Charlotte gestattete sich ein zaghaftes Lächeln. »Er ist ein kleiner Junge. Oft kommt er ziemlich schmutzig nach Hause, aber nein, es gab da nichts Ungewöhnliches.«
»Und sein Verhalten? Wirkte er aufgewühlt oder verärgert?«
»Nein, überhaupt nicht. Wir aßen einen Happen zusammen und guckten etwas fern.«
»Danke.« Irene nickte und setzte sich.
Daniel atmete aus und beugte sich zu Sebastian hinüber. »Alles okay?«, flüsterte er dem Jungen zu.
»Lassen Sie nicht zu, dass er gemein zu ihr wird«, gab Sebastian leise zurück, ohne sich Daniel zuzuwenden.
»Keine Sorge«, versicherte ihm Daniel, obwohl auch er sich wegen Jones’ Kreuzverhör Sorgen machte. Er wusste, viel Druck hielt Charlotte nicht aus.
Jones gelang ein zahnloses Lächeln, bevor er begann. Charlotte rieb sich den Nacken, und ihre Augen wanderten ängstlich hinauf zur Publikumsgalerie.
»Mrs. Croll, bekommen Sie irgendwelche Medikamente verschrieben, die Sie regelmäßig einnehmen?«
Charlotte räusperte sich und sagte dann: »Ja … ich habe Schlafschwierigkeiten, und ich habe Probleme mit … Ängsten, und ich nehme … ähm … Diazepam, Betablocker, ziemlich oft, und nachts, wenn ich nicht schlafen kann … Temazepam.«
»Ich verstehe, ein ziemlicher Cocktail. Und am achten Au gust, haben Sie da zum Beispiel eine … Diazepam eingenommen?«
»Ich weiß es nicht mehr genau, aber höchstwahrscheinlich ja. An den meisten Tagen brauche ich eine, um mich zu beruhigen.«
»Ich verstehe, Sie geben also zu, am achten August Beruhigungstabletten geschluckt zu haben, als Ihr Sohn hinaus zum Spielen ging, aber Sie sagen jetzt unter Eid aus, dass Sie sicher sind, dass er genau um drei nach Hause kam?«
»Ja, ich hatte mich hingelegt, aber ich habe an dem Tag wirklich nicht geschlafen. Ich fühlte mich nicht wohl und musste mich nur etwas beruhigen. Ich hörte Sebastian um drei nach Hause kommen und machte uns etwas zu essen. Ich habe nicht geschlafen. Ich weiß es genau. Ich war zu … angespannt. Ich weiß, zu welcher Zeit er nach Hause kam.«
»Lieben Sie Ihren Sohn, Mrs. Croll?«
»Ja, natürlich.«
Sebastian streckte wieder die Hände über den Tisch, als seine Mutter redete. Daniel bemerkte, dass er seiner Mutter quer durch den Gerichtssaal zulächelte.
»Und Sie würden alles tun, um ihn zu beschützen?«
»Alles, was in meiner Macht steht.« Charlotte sah Sebastian direkt an.
»Als die Polizei am Montag zu Ihnen kam, waren Sie angeblich zu Hause, schliefen aber fest. Sie waren so … hinüber , dass Sie nicht mal merkten, dass Ihr Sohn aufs Polizeirevier mitgenommen worden war, ist das korrekt?«
»Ja,
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