Der Schuldige: Roman (German Edition)
an dem Tag habe ich geschlafen. Die Ängste nehmen oft zu, und am Montag war ich völlig erschöpft. Aber am Sonntag war ich wach, und ich weiß die Uhrzeit, als er nach Hause kam.«
»Ein Zeuge hat ausgesagt, dass er viel später an diesem Nachmittag Sebastian auf dem Abenteuerspielplatz im Barnard Park gesehen hat, wie er sich mit dem Verstorbenen prügelte. In Wirklichkeit haben Sie keine Ahnung , um welche Uhrzeit Ihr Sohn nach Hause gekommen ist. Sie standen an diesem Tag unter Drogen und nahmen nichts wahr.«
»Das stimmt nicht. Er könnte jemand anderen gesehen haben. Ich weiß, dass ich an dem Tag wach war. Ich war mit den Nerven am Ende. Ich hätte nicht schlafen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Er kam um drei Uhr nach Hause, dessen bin ich sicher. «
»Mit den Nerven am Ende. Ich bin sicher, das sind Sie, Mrs. Croll, mit den Nerven am Ende. Wie viel Milligramm Valium haben Sie am achten August geschluckt?«
Charlotte hustete. »Zehn. Ich habe nur solche Tabletten, manchmal beiße ich sie in der Mitte durch, aber an dem Tag habe ich eine ganze genommen.«
»Und wir sollen glauben, dass Sie nach zehn Milligramm Valium noch bei Bewusstsein, geschweige denn sich über die Uhrzeit im Klaren waren?«
»Ich nehme schon lange Medikamente gegen meine Ängste. Zehn Milligramm haben bei mir nur eine beruhigende Wirkung, mehr nicht. Sie können meinen Arzt fragen, kleinere Mengen beruhigen mich nicht einmal. Ich weiß, mein Sohn war um drei Uhr zu Hause.«
Daniel lächelte und atmete aus. Jones beendete seine Befragung, und Charlotte ging zurück auf ihren Platz. Ihre Ellbogen waren wie spitze Flügel. Sie sah kurz zu Sebastian und Daniel herüber, bevor sie sich setzte. Daniel drehte sich zu ihr um und artikulierte stumm: Gut gemacht .
Nach einer kurzen Pause war es Zeit für den Pathologen der Verteidigung. Mit Bairds Aussage und der Behauptung der Staatsanwaltschaft, Sebastian leide an einer Störung aus dem Asperger-Spektrum, war die Verteidigung nicht gut gestartet, aber Daniel fand, dass Charlotte eine gute Zeugin gewesen war. Sie aussagen zu lassen, war gefährlich gewesen. Als Alibi war sie wichtig, aber ihr unberechenbarer Gemütszustand und ihre mangelnde Aufmerksamkeit hatten Irene und Daniel mit Besorgnis betrachtet. Aber Charlotte hatte sich hervorragend geschlagen. Sie hatte sich ehrlich über ihre Medikamentensucht und ihre Ängste geäußert, und Daniel hatte das Gefühl, dass ihre Aussage glaubhafter war als Rankines spätere Beobachtung der sich prügelnden Jungen zu einer Zeit, zu der Sebastian behauptete, längst wieder nach Hause gegangen zu sein.
Irene erschien nicht so zuversichtlich, als Daniel sie und Mark hinterher traf. Sie hatte ihre Robe abgelegt und lief in dem Ankleideraum, in dem die Spinde der Anwälte standen, hin und her.
»Ich finde halt, es ist nicht solide genug, Danny«, sagte sie. »Dieser verdammte Psychologe hat uns geschadet.« Der untadelig saubere Aufschlag ihres Kragens flatterte mit Nachdruck, während sie sprach, Hand auf die Hüfte gestemmt und zwei scharfe Falten zwischen ihren Brauen. »Wir brauchen etwas mehr.«
»Wir können noch unsere Kriminaltechnikerin aufrufen, aber ich nehme an, du wirst es nicht jetzt tun«, sagte Daniel.
»Nicht nötig, weil wir Watson umgedreht haben. Seine Kapitulation wiegt schwerer als alles, was sie sagen könnte.«
»Es gibt eine Person, auf deren Aussage sie immer noch warten«, sagte Daniel.
Irene drehte sich abrupt zu ihm um. Ihre Augen blickten ernst. »Du meinst, Sebastian in den Zeugenstand rufen? Es wäre in diesem Stadium nicht gestattet. Die Verteidigung ist im Gange.«
»Könntest du nicht dem Richter ein formelles Gesuch unterbreiten?«, fragte Daniel.
»Das könnte ich, aber es ist nicht sicher, dass er ihm zustimmt. Meinst du, Sebastian ist dem gewachsen?«
»Könnte gut sein.«
»Und du meinst im Ernst, das wird uns helfen? Ich hatte mir das auch schon überlegt. Wenn wir ihn nicht aussagen lassen, könnten wir seine Chancen mindern. Wir müssen die Ge schworenen dazu bringen, dass sie ihn verstehen, vor allem da die Staatsanwaltschaft Asperger, die Medikamentensucht seiner Mutter und seine morbide Faszination aufs Tapet bringt. Sagt er nichts, schießen die Fantasien der Geschworenen ins Kraut …«
»Ich bin auch der Meinung – sie warten alle darauf, seine Version der Geschichte zu hören. Sein jetziges Schweigen belastet ihn«, sagte Daniel.
Irene atmete aus. »Lieber Gott, gehen wir doch
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