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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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Er wollte bei ihr sein, ganz egal, wo sie war. Die Sozialarbeiterin hatte ihm gesagt, dass sie nicht mehr im Krankenhaus war. Er wäre wieder zu Hause, wenn sie ihn willkommen hieße, wenn sie ihn in ihre Arme nähme. Er wäre beinahe umgekehrt, aber dann stellte er sie sich wieder vor. Er vergaß die Autos und die Straße und das Blut in seiner Kehle. Er erinnerte sich daran, wie seine Mum sich geschminkt hatte, und an den Geruch von ihr, das viele Talkum, wenn sie gebadet hatte. Es ließ ihn die Kälte vergessen.
    Er hatte Durst. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er versuchte, seinen Durst zu vergessen und sich stattdessen an das Krabbeln ihrer Finger zu erinnern, die ihm durchs Haar gefahren waren. Wie lange war es her, seit sie das getan hatte? Mehrere Male waren ihm inzwischen die Haare geschnitten worden. Hatte sie die Haare, die jetzt auf seinem Kopf wuchsen, überhaupt jemals berührt?
    Er schritt vor sich hin und zählte die Monate an seinen Fingern, als ein Lkw neben ihm hielt.
    Daniel trat ein gutes Stück zurück. Der Fahrer war ein Mann mit langen Haaren und Tätowierungen auf seinem Unterarm. Er kurbelte die Scheibe runter, lehnte sich heraus und brüllte ihn an: »Wo soll’s denn hingehen, mein Junge?«
    »Newcastle.«
    »Dann hüpf rein.«
    Daniel wusste, der Mann konnte ein Spinner sein, aber er kletterte trotzdem neben ihn. Er wollte seine Mum wiedersehen. Der Mann hatte sein Radio laufen, und das war so laut, dass Daniel keine Notwendigkeit verspürte zu reden. Beim Fahren hielt der Mann die Hände über dem Steuerrad gefaltet. Die Muskeln in seinen Armen spannten sich, wenn er das Steuerrad drehte. Er roch nach altem Schweiß, und der Lkw war dreckig, voller zusammengequetschter Getränkedosen und leerer Zigarettenschachteln.
    »Heeeh, Mann, schnall dich lieber an, ja?«
    Daniel tat, was er verlangte.
    Der Mann zog mit den Zähnen eine Zigarette aus dem Päckchen, das auf dem Armaturenbrett lag, und bat Daniel, ihm das Feuerzeug zu reichen, das neben seinen Füßen lag. Daniel sah zu, wie der Mann die Zigarette anzündete. Er hatte die Tätowierung einer nackten Frau auf seinem Arm und eine Narbe wie ein Brandmal am Nacken.
    Der Mann kurbelte das Fenster runter und stieß den Rauch in die Luft aus, die an ihnen vorbeirauschte.
    »Willste auch eine?«
    Widerwillig nahm sich Daniel eine Zigarette. Er zündete sie an und kurbelte sein Fenster runter, wie es der Mann getan hatte. Er zog einen Fuß auf den Sitz hoch und legte seinen linken Arm auf das offene Fenster. So rauchte Daniel und fühlte sich frei und verbittert und wütend und allein. Die Zigarette ließ seine Augen tränen. Er lehnte den Kopf zurück, als der Kick einsetzte. Ihm war übel, wie immer, wenn er eine Zigarette rauchte, aber er wusste, er würde sich nicht übergeben müssen.
    »Na, und was haste in Newcastle so vor?«
    »Will bloß meine Mum besuchen.«
    »Bist wohl in ’ne Keilerei geraten, was?«
    Daniel zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Zug.
    »Dann kannst du dich ja sauber machen, wenn du nach Hause kommst.«
    »Ja.«
    »Was hättste ’nn gemacht, wenn ich nicht gehalten hätte?«
    »Einfach weitergegangen.«
    »Heeeh, das ist aber ’n weiter Weg, Junge. Brauchste die ganze Nacht zu.«
    »Macht mir nix aus, aber trotzdem danke, dass Sie mich mitgenommen haben.«
    Der Mann lachte, und Daniel wusste nicht, warum er lachte. Die Vorderzähne des Mannes waren abgebrochen. Er rauchte seine Zigarette zu Ende und schnippte sie dann aus dem Fenster. Daniel sah zu, wie die roten Funken der weggeworfenen Zigarette hinter ihnen verschwanden. Auch er hätte seine Zigarette gern weggeworfen, aber sie war erst halb geraucht. Daniel dachte, er könnte Ärger kriegen, wenn er sie ungeraucht verkommen ließ. Er nahm noch ein paar Züge, dann schnippte er sie nach draußen, als der Mann sich aus seinem Fenster beugte, sich räusperte und ausspuckte.
    »Wird ’nn deine Mum Tee für dich gemacht haben?«
    »Ja.«
    »Was kocht sie denn für dich?«
    »Sie macht … Roastbeef und Yorkshirepudding.«
    Seine Mutter hatte ihm immer nichts als Toast gemacht. Sie machte guten Käsetoast.
    »Roastbeef an einem Dienstag? Mann, ich muss unbedingt bei euch einziehn. Das ist nicht schlecht, ehrlich. Wo setz ich dich ab?«
    »Einfach im Zentrum. Wo’s halt leichter ist.«
    »Ich kann dich nach Hause fahren, Mann? Ich bleib über Nacht in Newcastle. Ich will doch, dass du rechtzeitig zu deim Roastbeef zu Hause bist, oder? Wo wohnst du?«
    »Die

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