Der Schuldige: Roman (German Edition)
Cowgate, die geht …«
Der Mann lachte wieder, und Daniel sah ihn finster an. »Du bist okay, Mann. Ich kenn die Cowgate. Ich bring dich hin.«
Daniel fror, als er abgesetzt wurde. Der Mann ließ ihn am Kreisverkehr aussteigen und hupte, als er wegfuhr.
Daniel zog die Schultern gegen die Kälte hoch und rannte den Rest des Weges: die Ponteland Road und die Chestnut Avenue entlang zum Whitethorn Crescent. Seine Mum hatte dort die letzten zwei Jahre gewohnt. Die Fürsorge hatte ihm vor ein paar Monaten erlaubt, eine Nacht bei ihr zu bleiben. Es war ein weißes Haus am Ende einer Häuserreihe neben zwei roten Backsteinbauten, die mit Brettern vernagelt waren. Er rannte darauf zu. Seine Nase begann wieder zu bluten und sie schmerzte beim Rennen, und so verlangsamte er das Tempo. Er hob die Hand, um sie zu berühren. Sie fühlte sich sehr dick an, wie die Nase von jemand anderem. Obwohl seine Nase mit Blut verstopft war, konnte er den Zigarettenrauch an seinen Fingern riechen.
Am Zugang zu dem Haus blieb er stehen. In allen Fenstern waren die Scheiben zerbrochen, und das Fenster im ersten Stock war weg; alles im Inneren war schwarz. Er schaute finster zu ihrem Fenster hinauf. Es wurde allmählich dunkel, aber das Fenster sah schwärzer aus als all die anderen unbeleuchteten Fenster. Das Gras im Garten reichte ihm bis zu den Knien und überwucherte den Weg. Mit Riesenschritten ging er durch das Gras zur Seitentür. Im Gras lagen überall Gegenstände herum: ein platt gefahrener Verkehrskegel, ein umgekippter Kinderwagen, ein alter Schuh. Er hörte einen Hund bellen. Sein Atem ging heftig.
An der Tür blieb er stehen, ehe er auf die Klinke drückte. Sein Herz schlug dumpf, und er biss sich auf die Lippen. Es würde kein Roastbeef geben. Trotzdem stellte er sich vor, sie würde die Tür aufreißen und ihn in die Arme schließen. Vielleicht hatte sie ja gerade keinen Freund. Vielleicht waren ihre Freunde nicht da. Vielleicht war sie clean. Vielleicht würde sie ihm Toast machen, und sie würden zusammen auf der Couch sitzen und sich Crown Court ansehen. Er fühlte ein merkwürdiges Brennen in der Brust und hielt den Atem an.
Als er die Tür aufmachte und in den Flur trat, roch es feucht und verkohlt. Er spähte ins Wohnzimmer, aber alles war schwarz. Er weinte nicht. Er ging hinein. Die Küche war verschwunden. Er legte eine Hand auf die Wand und betrachtete dann seine schwarze Handfläche. Die Luft war noch immer feucht vom Rauch und verfing sich in seinem Rachen. Im Wohnzimmer war die Couch zu einem Sprungfederskelett verbrannt. Er stieg die Treppe nach oben. Der Teppich patschte vor Wasser, und das Geländer war verkohlt. Badewanne und Waschbecken waren schwarz von Ruß. In einem der Schlafzimmer war der Spiegel des Kleiderschranks zerbrochen, aber es gelang ihm, die Tür ein Stückchen aufzuschieben. Ihre Kleider hingen noch darin, nicht verbrannt. Daniel schlüpfte in den Schrank und drückte ihre Kleider gegen sein Gesicht. Er ließ sich nach unten gleiten und hockte sich zwischen ihre Schuhe und Sandalen. Er lehnte die Stirn gegen seine Knie.
Er wusste nicht, wie lange er schon in dem Schrank hockte, aber nach einer Weile hörte er jemanden auf der Treppe. Ein Mann ging von Raum zu Raum und rief: »Ist hier jemand?«
Daniel wollte herausfinden, wohin seine Mutter gegangen war, aber als er in den Korridor hinaustrat, packte ihn der Mann am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. Der Mann war nur ein bisschen größer als Daniel. Er hatte ein weißes Unterhemd an. Daniel roch den salzigen Schweiß des Mannes über den verkohlten Geruch der Wohnung hinweg. Während der Mann Daniel festhielt, drückte er ihn mit seinem Bauch gegen die Wand.
»Was zum Teufel machst du hier drin?«, fragte der Mann. »Hau ab, mach schon.«
»Wo ist meine Mum hingegangen?«
»Deine Mum? Wer ist deine Mum?«
»Sie hat hier gewohnt, ihre Kleider sind noch da.«
»Die Junkies haben das Haus abgefackelt, verstehste? Total im Dschumm, allesamt. Ham nicht mal gemerkt, dass das Haus gebrannt hat. Ich musste die Feuerwehr rufen. Die ganze Scheiß-Häuserreihe hätte hochgehn können.«
»Was ist mit meiner Mum?«
»Ich weiß nix über deine Mum. Sie ham sie alle auf Tragen rausgeschleppt – immer noch im Scheiß-Reich der Träume wahrscheinlich. Einer von ihnen war richtig verkohlt. Richtig ekelhaft war das. Konnte nicht erkennen, ob’s Mann oder Frau war.«
Daniel entwand sich ihm und rannte die Treppe hinunter. Er hörte, wie der
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