Der Schuldige: Roman (German Edition)
besonderer Junge bist. Du bist stark, und du bist klug. Du wirst nicht für immer ein kleiner Junge bleiben. Ganz egal, was andere dir sagen, erwachsen zu sein, ist viel besser. Du kannst deine eigenen Entscheidungen treffen und leben, wo du willst und mit wem du willst, und du wirst berühmt werden.«
Das Badezimmer troff vor Dampf. Daniel war hundemüde. Er lehnte seinen Kopf gegen ihren Bauch und weinte. Er umfasste ihre Hüften. Seine Hände kamen nicht in der Mitte zusammen, aber es fühlte sich gut an, auf ihrem Bauch zu ruhen und das Auf und Ab ihres Atems zu spüren.
Er setzte sich auf und wischte sich die Augen mit seinem Ärmel.
»Na komm. Steig rein und wärm dich auf, während ich dir was zu essen mache. Lass die schmutzigen Sachen einfach auf dem Boden liegen. Ich bringe dir deinen Schlafanzug runter.«
Als sie ging, zog er sich aus und stieg in die Wanne. Das Wasser war zu heiß, und er brauchte einige Zeit, bis er sich ganz hineinsinken ließ. Der Schaum flüsterte ihm etwas zu. Seine Arme sahen furchtbar aus: zerkratzt von der Treppe und grün und blau von den Tritten. Er hatte blaue Flecken an der Seite und auch auf seinen Rippen. Es fühlte sich besser an, als er im Badewasser saß. Er lehnte sich zurück, glitt mit dem Kopf unter Wasser und überlegte, ob man das fühlte, wenn man tot war: Wärme und Stille und das Plätschern von Wasser. Er spürte den Druck in seiner Lunge und setzte sich auf. Als Minnie wieder hereinkam, wischte er sich den Schaum aus dem Gesicht.
Sie legte ihm den Schlafanzug auf den Toilettensitz und ein Handtuch oben drauf. Neben der Wanne stand ein Hocker, und sie stützte sich auf das Waschbecken und ließ sich auf den Hocker nieder.
»Wie ist dein Bad? Fühlst du dich besser?«
Er nickte.
»Du siehst besser aus, muss ich sagen. Was hast du mir für einen Schrecken eingejagt mit all dem Blut. Was ist dir passiert? Sieh dir nur deine Arme an. Voller blauer Flecken.«
»Bin in der Schule in ’ne Schlägerei geraten.«
»Wer war es? Ich kenne hier in Brampton alle. Sie kaufen meine Eier. Ich kann mit ihren Müttern reden.«
Er holte Luft und war schon drauf und dran, ihr zu erzählen, dass er ihretwegen verdroschen worden war, doch dann entschied er sich anders. Er war zu müde, um sich mit ihr zu streiten, und er mochte sie gern, nur ein kleines bisschen – genau in diesem Moment, weil sie seine Nase versorgt und ihm ein Bad eingelassen hatte.
»Du hast bestimmt Hunger.«
Er nickte.
»Ich hatte Stew als Abendbrot. Deines habe ich noch im Kühlschrank. Wenn du möchtest, mach ich’s dir warm.«
Er nickte wieder und betastete seine Nase, um zu kontrollieren, ob sie wieder blutete.
»Oder möchtest du Käsetoast, weil’s schon so spät ist? Tasse Kakao?«
»Käsetoast.«
»Na wunderbar. Ich fang schon mal an. Du solltest bald aus der Wanne steigen. Wenn du zu lange drin bleibst, holst du dir ’ne Erkältung.«
»Minnie?« Er legte eine Hand auf den Wannenrand, als sie vorbeiging. »Du weißt, der Schmetterling – warum liebst du ihn so sehr? Ist er viel wert?«
Sie zog ihre Strickjacke enger um sich. Er wollte nicht frech sein. Er wollte es nur wissen, aber er spürte, wie sie sich in sich zurückzog.
»Er ist mir sehr viel wert«, sagte sie. Sie war schon fast draußen, aber an der Tür drehte sie sich noch mal um. »Meine Tochter hat ihn mir geschenkt.«
Daniel lehnte sich auf die Seite der Wanne, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Sie sah einen Moment lang traurig aus, aber dann war sie schon draußen, und er hörte sie seufzen, als sie die Treppe nach unten stieg.
Später, als er in seinem Zimmer dem Knarren des Hauses lauschte, kontrollierte er, ob die Halskette seiner Mum noch da war und ob sein Messer noch unter seinem Kopfkissen lag.
7
Daniel presste seine Schulterblätter gegen den Fahrersitz, während er die M6 entlangfuhr. Sein Fenster hatte er heruntergekurbelt und seinen Ellenbogen daraufgelegt. Das Geräusch des Windes übertönte fast das Radio, aber er brauchte die Luft. Die Fahrt nach Norden ließ ihn eine geradezu magnetische Anziehung spüren. Er hatte nicht vorgehabt, zu der Beerdigung zu fahren, hatte aber ein ruheloses Wochenende verbracht, an dem ihn abwechselnd Gedanken an Sebastian und an Minnie peinigten. Er war morgens um sechs mit Kopfschmerzen aufgewacht, hatte geduscht, sich angezogen und sich augenblicklich in sein Auto gesetzt. Er war nun schon fast vier Stunden unterwegs, fuhr ohne zu denken, von Vorfreude und
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