Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Zeitzünder einzustellen.
    Laura war weit, weit weg, und er würde sie vielleicht nie wiedersehen.
    Am Montagnachmittag schlüpften Laura und Chris in graue Trainingsanzüge. Nachdem Thelma ihnen geholfen hatte, auf dem Boden der Veranda hinter dem Haus dicke Turnmatten auszurollen, saßen die beiden nebeneinander und machten Atemübungen.
    »Wann kommt Bruce Lee?« fragte Thelma.
    »Um vierzehn Uhr«, antwortete Laura.
    »Er ist nicht Bruce Lee, Tante Thelma«, stellte Chris irritiert fest. »Du nennst ihn immer Bruce Lee, aber Bruce Lee ist tot.«
    Mr. Takahami erschien pünktlich um 14 Uhr. Er trug einen blauen Trainingsanzug mit der Aufschrift QUIET STRENGTH
    – dem Motto seiner Selbstverteidigungsschule – auf dem Rükken. »Sie sind sehr komisch«, versicherte er Thelma, als er ihr vorgestellt wurde. »Und ich finde Ihr Plattenalbum super.«
    »Und ich kann Ihnen versichern, daß ich mir aufrichtig wünsche, Japan hätte den Krieg gewonnen«, antwortete Thelma, die bei diesem Lob errötet war.
    »Das haben wir doch«, meinte Henry lachend.
    Thelma saß in einem Liegestuhl und schlürfte Eistee, während sie zusah, wie Henry Laura und Chris in Selbstverteidigung unterrichtete.
    Henry Takahami war Anfang Vierzig und hatte einen muskulösen Oberkörper und sehnige Beine. Er war Judo-, Karate-und Teakwon-do-Meister und lehrte eine auf diesen Systemen basierende Selbstverteidigung, die er selbst entwickelt hatte. Zweimal in der Woche kam er aus Riverside herüber, um Laura und Chris zu unterweisen.
    Der grunzend und manchmal schreiend mit Boxhieben, Fußtritten, Beinstellen, Hüftwürfen und Handkantenschlägen geführte Nahkampf wurde sanft genug ausgetragen, um Verletzungen zu vermeiden, aber auch hart genug, um lehrreich zu sein. Die für Chris bestimmten Übungen waren kürzer und weniger anstrengend als die Lauras, und Henry ließ dem Jungen zwischendurch reichlich Zeit, sich wieder zu erholen. Bei Unterrichtsende war Laura wie jedesmal erschöpft und in Schweiß gebadet.
    Nachdem Henry sich verabschiedet hatte, schickte Laura ihren Sohn nach oben unter die Dusche, während sie mit Thelma die Matten aufrollte.
    »Er ist nett«, sagte Thelma.
    »Henry? Ja, das ist er.«
    »Vielleicht lerne ich auch Judo oder Karate.«
    »Ist dein Publikum in letzter Zeit so unzufrieden mit dir gewesen?«
    »Keine Tiefschläge, Shane!«
    »Alles ist fair, wenn der Feind gnadenlos und übermächtig ist.«
    Als Thelma am nächsten Nachmittag ihr Gepäck in den Kofferraum ihres Camaros legte, fragte sie plötzlich: »He, Shane, erinnerst du dich an die ersten Pflegeeltern, zu denen sie dich vom McIllroy aus geschickt haben?«
    »Die Teagels«, sagte Laura. »Flora, Mike – und Hazel.«
    Thelma lehnte sich neben Laura an die sonnenwarme Karosserie ihres Wagens. »Weißt du noch, was du uns von Mikes Begeisterung für Zeitungen wie den ›National Enquirer‹ erzählt hast?«
    »Ich erinnere mich an die Teagels, als wär’s gestern gewesen.«
    »Nun«, fuhr Thelma fort, »ich habe viel über deine seltsamen Erlebnisse nachgedacht – vor allem über deinen Beschützer, der nicht altert und sich in Luft auflösen kann –, mich an die Teagels erinnert und mir überlegt, daß das eine wahre Ironie des Schicksals ist. Wie wir im McIllroy viele Abende lang über den verrückten alten Mike Teagel gelacht haben! Und du erlebst jetzt am eigenen Leib nichts anderes als exotische Nachrichten erster Klasse.«
    Laura lachte halblaut. »Du meinst, an all den Geschichten von in Cleveland lebenden Wesen von einem anderen Stern könnte doch etwas Wahres sein, was?«
    »Hör zu, ich will damit nur sagen, daß … daß das Leben voller Wunder und Überraschungen ist. Gewiß, einige Überraschungen sind unangenehm, und manche Tage sind so leer wie der Kopf eines durchschnittlichen Politikers. Trotzdem gibt es Augenblicke, die mich erkennen lassen, daß wir alle aus irgendeinem Grund, so geheimnisvoll er auch sein mag, hier sind. Unser Leben ist nicht bedeutungslos. Wäre es bedeutungslos, gäbe es keine Geheimnisse. Dann wäre es so langweilig und durchschaubar und ohne Geheimnisse wie der Mechanismus einer Kaffeemaschine.«
    Laura nickte.
    »Meine Güte, hör dir das an! Ich vergewaltige unsere Muttersprache, um irgendeine dümmliche philosophische Erklärung zu finden, die letzten Endes nichts anderes besagt als ›Kopf hoch, Kleine!‹«
    »Du bist nicht dümmlich.«
    »Geheimnisse«, sagte Thelma. »Wunder. Du steckst mitten drin, Shane, und

Weitere Kostenlose Bücher