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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Korallenkrankheiten, infizierte Seegraswiesen, all das spiegelte den Zustand wider, in den die Weltmeere insgesamt geraten waren – geschwächt durch Ströme von Schadstoffen, Überfischung, die rücksichtslose Erschließung der Küsten und die Folgen der globalen Klimaerwärmung. Man stritt, ob Invasionen von Killeralgen etwas Neues oder periodisch Auftretendes waren – fest stand, dass sie den Globus auf nie dagewesene Art vereinnahmten und dass sich die Natur als ausgesprochen kreativ erwies, was das Hervorbringen neuer Spezies anging. Während die Europäer noch frohlockten, in ihren Breiten trete Pfiesteria nicht auf, starben vor Norwegen tausende von Fischen, und die norwegischen Lachszüchter gerieten an den Rand des Ruins. Diesmal hieß der Mörder Chrysochromulina polylepis, eine Art eifriger kleiner Bruder von Pfiesteria, und niemand wagte vorherzusagen, womit man es noch zu tun bekommen würde.
    Nun hatte Pfiesteria piscicida also bretonische Hummer befallen.
    Aber war es wirklich Pfiesteria piscicida?
    Zweifel nagten an Roche. Das Verhalten der Einzeller sprach dafür,wenngleich sie ihm weit aggressiver erschienen als in bisherigen Dokumentationen beschrieben. Vor allem aber fragte er sich, wie der Hummer überhaupt so lange hatte überleben können. Stammten die Algen aus seinem Innern? Zusammen mit der Substanz? Die gallertige Masse, die an der Luft zerfiel, schien jedenfalls etwas völlig anderes zu sein als diese Algen, etwas definitiv Unbekanntes. Entstammte überhaupt beides dem Innern des Hummers? Aber was war dann mit dem Hummerfleisch geschehen?
    War das überhaupt ein Hummer gewesen?
    Roche verfiel in tiefe Ratlosigkeit. Nur eines wusste er mit absoluter Sicherheit. Was immer es gewesen war – Teile davon befanden sich jetzt im Trinkwasser von Roanne.

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    22. April
    Norwegische See, Kontinentalrand
    Auf See enthielt die Welt nichts als Wasser und einen mehr oder weniger klar abgegrenzten Himmel. Es gab keine Bezugspunkte, sodass einen die Unendlichkeit an schönen Tagen förmlich in den Weltraum zu saugen schien, während man bei Regen mitunter nicht wusste, ob man sich noch an der Wasseroberfläche oder schon halb darunter befand. Selbst hartgesottene Seeleute empfanden eintönig niederfallenden Regen als deprimierend. Der Horizont verwischte, das Schwarz der Wellen verlief im Grau konturloser Wolkenmassen und hinterließ die bedrückende Vorstellung eines Universums ohne Licht, Gestalt und Hoffnung.
    Die Nordsee und das norwegische Meer boten dem Auge immerhin auf weiter Strecke Anhaltspunkte in Gestalt von Bohrtürmen. Draußen am Kontinentalhang, über dem das Forschungsschiff Sonne nun seit zwei Tagen kreuzte, waren die meisten Plattformen allerdings zu weit entfernt, um mit bloßem Auge wahrgenommen zu werden. Selbst die wenigen Türme in Sichtweite verschwanden heute im feinen Sprühregen. Alles war pitschnass. Klamme Kälte zog unter die wasserdichten Jacken und Overalls der Wissenschaftler und des Schiffspersonals. Anständiger, ehrlicher Regen aus dicken, klatschenden Tropfen wäre allen lieber gewesen als die nieselige Brühe. Nicht nur aus den Himmeln schien das Wasser zu kommen, sondern zugleich aus der See nach oben zu steigen. Es war einer der schäbigsten Tage, an die Johanson sich erinnern konnte. Er zog die Kapuze über die Stirn und ging ins Heck, wo das technische Personal mit dem Einholen der Multisonde befasst war. Auf halbem Weg gesellte sich Bohrmann an seine Seite.
    »Träumen Sie nicht allmählich von Würmern?«, fragte Johanson.
    »Es geht noch«, erwiderte der Geologe. »Und Sie?«
    »Ich flüchte mich in die Vorstellung, in einem Film mitzuspielen.«
    »Gute Idee. Welcher Regisseur?«
    »Wie wär's mit Hitchcock?«
    »Die Vögel in der Version für Tiefseegeologen?« Bohrmann grinste säuerlich. »Schöne Vorstellung – ah, es ist so weit!«
    Er ließ Johanson stehen und ging rasch weiter ins Heck. Am Kran hängend tauchte ein großes, kreisrundes Gestänge auf, dessen obereHälfte mit Kunststoffröhren bestückt war. Sie enthielten Wasserproben aus verschiedenen Meerestiefen. Johanson sah eine Weile zu, wie die Multisonde eingeholt und der Probensatz entnommen wurde, dann betraten Stone, Hvistendahl und Lund das Deck. Stone eilte auf ihn zu.
    »Was sagt Bohrmann?«, fragte er.
    »Houston, wir haben ein Problem.« Johanson zuckte die Achseln. »Viel sagt er nicht.«
    Stone nickte. Seine Aggressivität hatte tiefer Niedergeschlagenheit Platz gemacht. Im

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