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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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jemals hatten, und da hat keiner blöde Fragen gestellt. Aber kaum war ich draußen, ging es wieder los. Meine Mutter trieb meinen Vater mit indianischen Bräuchen zum Wahnsinn und er sie mit seinem ständigen Heimweh nach Mayo. Jeder versuchte sich irgendwie zu behaupten. Ich glaube, sie wollten nicht mal stolz darauf sein, irgendwoher zu kommen, sie wollten überhaupt nur irgendwoher kommen und sagen fuck!, ich bin kein Bastard! Das hier ist meine Heimat, hey, hier bin ich zu Hause!«
    »Das waren ihre Probleme. Du hättest sie nicht zu deinen machen müssen.«
    »Ach ja?«
    »Mann, Jack! Du stehst vor mir wie ein Schrank und behauptest, von den Konflikten deiner Eltern dermaßen traumatisiert zu sein, dass du nichts auf die Reihe kriegst?« Anawak schnaubte zornig. »Was macht es für einen Unterschied, ob du Indianer, Halbindianer oder sonst was bist? Niemand ist für seine innere Heimat verantwortlich außer er selber, seine Eltern nicht, keiner.«
    Greywolf schwieg überrascht. Dann stahl sich Genugtuung in seine Augen, und Anawak wusste, dass er soeben verloren hatte. Es hatte so kommen müssen.
    »Von wem reden wir hier eigentlich?«, fragte Greywolf mit maliziösem Lächeln.
    Anawak schwieg. Er sah zur Seite.
    Greywolf richtete sich langsam auf. Das Lächeln verschwand von seinen Zügen. Plötzlich sah er verbraucht und müde aus. Er ging hinüber zu der Maske und blieb davor stehen.
    »Okay, vielleicht bin ich ein Idiot«, sagte er leise.
    »Mach dir nichts draus.« Anawak fuhr sich über die Augen. »Wir sind beide Idioten.«
    »Du bist der größere von uns beiden. Diese Maske hier stammt aus dem HuupaKanum von Chief Jones. Du hast keine Ahnung, was das ist, stimmt's? Ich sag's dir. Ein HuupuKanum ist eine Box. Ein Aufbewahrungsort für Masken und Kopfschmuck, Zeremoniengegenstände und so weiter. Aber das ist nicht alles. Im HuupuKanum liegen die vererbten Rechte der hawiih und chaachaabat, der Chiefs. Das Huupu Kanum dokumentiert ihr Territorium, ihre historische Identität, ihre vererbten Rechte. Es sagt den anderen, wer du bist und woher du kommst.« Er drehte sich um. »Jemand wie ich könnte nie in den Besitz eines HuupuKanum gelangen. Du schon. Du könntest stolz sein. Aber du verleugnest alles, was du bist und woher du stammst. Ich soll Verantwortung tragen für das Volk, dem ich mich zugehörig fühle. Du bist einem Volk zugehörig und hast es verlassen! Du wirfst mir vor, nicht authentisch zu sein. Ich konnte es nie sein, aber ich versuche mir ein Stück Authentizität zu erkämpfen. Du hingegen bist authentisch. Aber du willst nicht sein, was du bist, und bist nicht, was du sein willst. Du sagst mir, ich sehe aus wie aus einem schlechten Western, aber es ist wenigstens ein Bekenntnis zu irgendeiner Art von Leben. Du zuckst ja schon zusammen, wenn dich bloß jemand fragt, ob du ein Makah bist.«
    »Woher weißt du ... ?« Delaware. Natürlich. Sie war hier gewesen.
    »Mach ihr bloß keinen Vorwurf«, sagte Greywolf. »Dich zu fragen, hat sie sich kein zweites Mal getraut.«
    »Was hast du ihr erzählt?«
    »Nichts. Du verdammter Feigling. Du willst mir was von Verantwortung erzählen? Du kommst hierher und wagst es, mir diese Scheiße aufzutischen, dass nicht die Eltern für deine innere Heimat zuständig sind, sondern nur du selber? Ausgerechnet du? Leon, ich führe vielleicht ein lächerliches Leben, aber du ... du bist doch schon tot.«
    Anawak saß da und ließ die letzten Worte Revue passieren.
    »Ja«, sagte er langsam. »Du hast Recht.«
    »Ich habe Recht?«
    Anawak erhob sich.
    »Ja. Ich danke dir nochmals für die Lebensrettung. Du hast Recht.«
    »Hey, warte mal.« Greywolf zwinkerte nervös. »Was ... was hast du denn jetzt vor?«
    »Ich gehe.«
    »So? Hm. Na ja, Leon, ich ... also, dass du schon tot bist, habe ich nicht so ... verdammt, ich wollte dich nicht verletzen, ich ... Zum Teufel, steh hier nicht rum, setz dich wieder hin!«
    »Wozu?«
    »Deine ... deine Cola! Du hast sie nicht ausgetrunken.«
    Anawak zuckte ergeben die Achseln. Er setzte sich wieder, nahm die Dose und trank. Greywolf sah ihm zu, kam zu ihm herüber und ließ sich wieder auf dem Sofa nieder.
    »Was war eigentlich mit diesem kleinen Jungen?«, fragte Anawak. »Scheint dich ja schwer ins Herz geschlossen zu haben.«
    »Den wir vom Schiff geholt haben?«
    »Ja.«
    »Was schon? Er hatte Angst. Ich hab mich um ihn gekümmert.«
    »Einfach so?«
    »Klar.«
    Anawak lächelte. »Ich hatte eher den Eindruck, du willst

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