Der Schwarm
sein?«
Johanson überschlug im Geist seine Termine.
»Ich bin vormittags beschäftigt«, sagte er. »Muss Studenten mit dem Sexappeal von Schwefelbakterien vertraut machen.«
»Das ist blöde. Das Schiff legt in aller Herrgottsfrühe ab.«
»Wo?«
»In Kristiansund.«
Kristiansund lag eine gute Autostunde südwestlich von Trondheim an einer von Wind und Wellen umtosten Felsenküste. Vom nahe gelegenen Flughafen gingen Helikopterflüge hinaus zu den Bohrinseln, die sich auf dem Nordseeschelf und entlang der norwegischen Rinne aneinander reihten. Rund siebenhundert Plattformen zur Förderung von Öl und Gas lagen allein vor Norwegen.
»Kann ich nicht nachkommen?«, schlug Johanson vor.
»Ja, vielleicht«, sagte Lund nach kurzem Schweigen. »Gar keine schlechte Idee. Wenn ich so darüber nachdenke, könnten wir eigentlich beide nachkommen. Was machst du übermorgen?«
»Nichts, was sich nicht verschieben ließe.«
»Dann ist alles geritzt. Wir kommen beide nach, bleiben über Nacht auf der Thorvaldson und haben jede Menge Zeit für Beobachtungen und Auswertungen.«
»Habe ich das richtig verstanden? Du willst auch nachkommen?«
»Na ja. Ich habe ... also, mir kam gerade die Idee, dass ich den halben Tag an der Küste verbringen könnte, und du stößt am frühen Nachmittag dazu. Wir fliegen dann zusammen nach Gullfaks und nehmen von dort den Transfer auf die Thorvaldson.«
»Ich liebe es, dich improvisieren zu hören. Darf ich auch erfahren, warum du es so kompliziert machst?«
»Wieso? Ich mache es dir einfach.«
»Ja, mir. Aber du könntest morgen früh an Bord gehen.«
»Ich leiste dir eben gern Gesellschaft.«
»Charmant gelogen«, sagte Johanson. »Sei's drum. Du bist also an der Küste. Wo genau soll ich dich aufgabeln?«
»Fahr nach Sveggesundet.«
»Oh Gott! Das Kaff? Warum denn gerade Sveggesundet?«
»Es ist ein sehr hübsches Kaff«, sagte Lund mit Nachdruck. »Wir treffen uns im Fiskehuset. Weißt du, wo das ist?«
»Ich habe die zivilisatorischen Errungenschaften von Sveggesundet hinreichend erkundet. Ist es das Restaurant an der Küste neben der alten Holzkirche?«
»Genau das.«
»Um drei?«
»Drei ist prima. Ich sorge für den Helikopter. Er wird uns dort abholen.« Sie machte eine Pause. »Hast du schon irgendwelche Ergebnisse bekommen?«
»Leider nein. Aber möglicherweise morgen.«
»Das wäre gut.«
»Wird schon. Mach dir keine Sorgen.«
Sie beendeten das Gespräch. Johanson runzelte die Stirn. Da war er wieder, der Wurm. Er drängelte sich zurück an die vorderste Front und beanspruchte seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Es war in der Tat verblüffend, wenn eine neue Spezies wie aus dem Nichts in einem weitgehend bekannten Ökosystem auftauchte. An sichhatten Würmer nichts Beunruhigendes an sich. Sie mochten nicht jedermanns Sache sein, und grundsätzlich missfiel Menschen die Vorstellung von organischen Kollektiven, was vornehmlich psychologische Gründe hatte. Ansonsten waren Würmer eher nützlich.
Es macht sogar Sinn, dass sie da sind, dachte Johanson. Wenn sie wirklich Verwandte des Eiswurms sind, leben sie indirekt von Methan. Und Methanvorkommen fanden sich an allen Kontinentalabhängen, auch vor Norwegen.
Kurios war es dennoch.
Die Ergebnisse der Taxonomen und Biochemiker würden alle Fragen beantworten. Solange sie nicht vorlagen, konnte er sich ebenso gut wieder den Gewürztraminern von Hugel widmen. Im Gegensatz zu Würmern kamen letztere nämlich recht selten vor. Zumindest bestimmte Jahrgänge.
Als er tags darauf sein Büro betrat, fand Johanson zwei persönlich an ihn adressierte Briefe vor. Sie enthielten die taxonomischen Gutachten. Hochbefriedigt überflog er die Resultate und wollte sie schon aus der Hand legen. Dann las er sie nochmal genauer.
Merkwürdige Tiere. In der Tat.
Er stopfte alles zusammen in seine Aktentasche und ging zu seiner Vorlesung. Zwei Stunden später saß er im Jeep und fuhr über die hügelige Fjordlandschaft Richtung Kristiansund. Es hatte getaut. Große Teile des Schnees waren verschwunden und hatten schwarzbraune Landschaft freigelegt. Das Wetter machte es einem in diesen Tagen schwer, sich richtig anzuziehen. An der Uni war die Hälfte der Belegschaft erkältet. Johanson hatte entsprechend vorgesorgt und einen Koffer gepackt, dessen Gewicht eben noch für den Helikopterflug durchging. Weder verspürte er Lust, sich auf der Thorvaldson einen Schnupfen zu holen, noch seine Kleidung an Sachzwängen auszurichten. Lund
Weitere Kostenlose Bücher