Der Schwarm
sie keine Kiefer?«
»Weil sie symbiotisch leben«, erklärte Johanson. »Sie nehmen Bakterien in sich auf, die wiederum im Methanhydrat leben ...«
»Hydrat?«
Johanson warf Lund einen kurzen Blick zu. Sie zuckte die Achseln.
»Erklär's ihm.«
»Es ist ganz einfach«, sagte Johanson. »Sie haben vielleicht gehört, dass die Ozeane voller Methan sind.«
»Ja. Man liest es im Augenblick ständig.«
»Methan ist ein Gas. Es lagert in großen Vorkommen im Meeresboden und in den Kontinentalabhängen. Einiges davon gefriert an der Bodenoberfläche. Wasser und Methan verbinden sich zu einer Art Eis, das nur unter hohem Druck und niedrigen Temperaturen bestehen kann. Darum findet man es erst ab einer gewissen Tiefe. Dieses Eis nennt man Methanhydrat. Alles klar bis hierher?«
Sverdrup nickte.
»Gut. Nun gibt es überall im Ozean Bakterien. Einige davon verwerten Methan. Sie fressen es und scheiden Schwefelwasserstoff aus. Bakterien sind zwar mikroskopisch klein, treten aber in solch gewaltigen Mengen auf, dass sie den Meeresboden wie Matten überziehen. Wir sprechen vom Bakterienrasen. Solche Rasen finden Sie bevorzugt dort, wo Methanhydrate lagern. Fragen?«
»Noch nicht«, sagte Sverdrup. »Ich vermute, jetzt kommen Ihre Würmer ins Spiel.«
»Ganz richtig. Es gibt Würmer, die leben von den Ausscheidungen der Bakterien. Sie gehen eine symbiotische Beziehung mit ihnen ein. In manchen Fällen frisst der Wurm die Bakterien und trägt sie im Innern, in anderen Fällen leben sie auf seiner Außenhaut. So oder so versorgen sie ihn mit Nahrung. Den Wurm zieht es darum auf die Hydrate. Er macht es sich darauf gemütlich, genehmigt sich einen ordentlichen Haps Bakterien und tut ansonsten nicht sehr viel. Er muss sich zum Beispiel nirgendwo eingraben, denn er frisst ja nicht das Eis, sondern die Bakterien darauf. Alles, was geschieht, ist, dass er durch sein Strudeln eine flache Mulde ins Eis schmilzt, wo er zufrieden verbleibt.«
»Ich verstehe«, sagte Sverdrup langsam. »Tiefer vorzudringen, dazu hat der Wurm keine Veranlassung. Aber andere Würmer tun das?«
»Es gibt die unterschiedlichsten Arten. Manche fressen Sediment oder Stoffe, die im Sediment vorhanden sind, oder sie verarbeiten Detritus.«
»Detritus?«
»Alles, was von der Meeresoberfläche in die Tiefsee sinkt. Kadaver, Partikel, Reste aller Art. Eine ganze Reihe von Würmern, die nicht in Symbiosen mit Bakterien leben, verfügen über kräftige Kiefer, um Beute zu packen oder um sich irgendwo einzugraben.«
»Jedenfalls braucht der Eiswurm keine Kiefer.«
»Vielleicht doch, um winzige Mengen Hydrat zu zermahlen und Bakterien herauszufiltern. Ich sagte ja, er hat welche. Aber keine Hauer wie Tinas Exemplare.«
Sverdrup schien zunehmend Spaß an der Sache zu finden.
»Wenn die Würmer, die Tina entdeckt hat, also mit Methan fressenden Bakterien in Symbiose leben ...«
»Müssen wir uns fragen, wozu dieses Waffenarsenal aus Kiefern und Zähnen dient.« Johanson nickte. »Jetzt wird's nochmal spannend. Die Taxonomen haben nämlich einen zweiten Wurm gefunden, auf den die Struktur des Kieferapparats zu passen scheint. Er heißt Nereis, ein Räuber, der in allen möglichen Tiefen vorkommt. Tinas kleinerLiebling hat also Kiefer und Zähne von Nereis, allerdings in einer Ausprägung, dass man eher an einen prähistorischen Vorfahren von Nereis denken möchte. Sozusagen an Tyrannereis rex.«
»Klingt unheimlich.«
»Es klingt nach Bastard. Wir müssen die Mikroskopie und die genetische Analyse abwarten.«
»Am Kontinentalhang gibt es Methanhydrate ohne Ende«, sagte Lund. Sie zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Es würde also passen.«
»Warten wir's ab.« Johanson räusperte sich und musterte Sverdrup. »Und was treiben Sie so, Kare? Auch im Ölgeschäft?«
Sverdrup schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er fröhlich. »Mich interessiert einfach nur alles, was man essen kann. Ich bin Koch.«
»Überaus angenehm! Sie ahnen nicht, wie ermüdend es ist, sich tagein, tagaus mit Akademikern abzugeben.«
»Er kocht phantastisch!«, sagte Lund.
Wahrscheinlich nicht nur das, dachte Johanson. Ein Jammer. Er würde die mitgebrachten Leckereien trotzdem mit Lund teilen. Im Grunde war er erleichtert. Tina Lund verlockte ihn ein ums andere Mal, aber kaum war sie aus dem Zimmer, dankte er dem Schicksal jedes Mal aufs Neue. Sie war ihm einfach zu anstrengend.
»Und wie habt ihr euch kennen gelernt?«, fragte er, ohne dass es ihn sonderlich
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