Der schwarze Krieger
Seine Lippen waren leuchtend rot angemalt, und von seinen fetten, langen Ohrläppchen hingen schwere goldene Ohrringe herab. Wie es sich für einen Gottkönig ziemte, war sein Gewand sonnengelb, nur unter den Achseln war es ein wenig dunkler und schmierig. Sein Kopf, den der Strahlenkranz der Sonne zierte, wirkte wie eine kahle Kuppel mit mehreren Fettschichten, während sein Bauch zu einer wackelnden Kugel wurde, wenn er sich bewegte. Er blieb ein paar Schritte vor dem schweigsamen Besucher in seinem schäbigen Mantel stehen, blickte über die Terrasse und stieß einen seltsamen zischenden Laut aus. Unter ihnen befand sich eine breitere Terrasse, auf der pubertierende Konkubinen mit verkrüppelten Füßen herumsaßen, sich schönmachten und auf seine Befehle warteten.
Attila blickte sich nicht um und rührte sich nicht.
Der Gottkönig zögerte und strahlte ihn dann wieder an. Der himmlische Vater seines Volkes und zugleich der irdische Vater von Dutzenden von Inzestkindern. Das mit dem Traum hatte er bereits wieder vergessen. Er war unsicher, weshalb sein Besucher hier vor ihm stand.
«Komm!», befahl er und winkte ihn auf die rückwärtige Seite der Terrasse. Eine steinerne Kolonnade gab den Blick auf eine Reihe von Türen frei, die in dunkle, direkt aus dem Felsen gehauene Kammern führten.
Attila folgte dem Gottkönig ins Dunkel und hörte den alten General dicht hinter sich.
«Bayan-Kasgar!», rief der Gottkönig aus einer der düsteren Kammern. «Bring uns mehr Licht!»
Attila und der Gottkönig warteten geduldig, sie standen einander im Halbdunkel gegenüber. Attila spürte, wie das kleine Messer kalt gegen seinen nackten Bauch drückte. Der alte General war verschwunden. Die Kammer war ganz still. Der Gottkönig grinste ihn an und wischte sich dann mit dem Rücken seiner beringten Hand einen Tropfen Eiter von der Nase. Er hatte es nicht verdient zu überleben. Das gesamte Königreich hatte es nicht verdient zu überleben.
«Bayan-Kasgar», wiederholte Attila. «Schöner Wolf. Wolfsähnlich, von mir aus, aber schön …?»
Unsicher starrte der Gottkönig den Fremden an. Was für eine seltsame Bemerkung. Er fragte sich, ob er nach seinen Wachen rufen solle. Woher sollte er wissen, was zu tun war? Wo war sein Kammerherr? Er war sehr verärgert. Um seinen Ärger zu überspielen, brach er in hohes Gekicher aus. Der Fremde stimmte in sein Lachen ein und machte einen Schritt auf ihn zu.
Dann kam der nette Bayan-Kasgar an der Spitze eines Wachtrupps wieder, die Wachen trugen große, reichverzierte Bronzekandelaber und setzten diese auf dem Boden ab. Erst jetzt bemerkte Attila, wie groß der Raum war. Es war eine bis zur Decke vollgestopfte riesige Abstellkammer, wie sie sesshafte Kaiser überall besitzen. Zum Beispiel dieser leidenschaftliche Sammler in Rom. Zeug. Gottkönige häuften immer irgendwelches Zeug an, das sie beschwerte. Vielleicht, um ihnen das beruhigende Gefühl zu vermitteln, mehr Gewicht zu haben, als sie von sich aus hatten. Die Könige der sesshaften Völker hatten nie gelernt oder mit Absichtvergessen, dass man umso weniger war, je mehr man besaß.
Er nickte voller Bewunderung, und der Gottkönig kicherte wieder und zeigte ihm seine Sammlung.
Im Kerzenschimmer beteuerte Attila, wie sehr ihm die fremdländischen Schätze des Gottkönigs gefielen. Seine Dosen aus Schildpatt voller Moschus und Ginsengwurzeln von benachbarten Stammesfürsten; seine hohen Vasen voller bunter Federn längst ausgestorbener Vögel; seine Truhen aus Zedernholz mit Goldklumpen aus Bei Kem. Der Gottkönig beugte sich keuchend über die Truhe, nahm mit seinen dicklichen Fingern einen der rauen Klumpen heraus und legte ihn an den Mund. Blöd grinsend drehte er sich wieder zu Attila um und saugte an dem Goldbrocken wie ein Kleinkind, das an einer Pflaume lutscht. Nachdem er eine Weile lang zufrieden daran genuckelt hatte, nahm er ihn wieder heraus, schmatzte mit den Lippen und reichte das speicheltriefende Stück dem Besucher. Attila schüttelte höflich den Kopf. Der Gottkönig machte ein beleidigtes Gesicht und ließ das Gold zurück in die Truhe fallen. Doch schon bald wurde er wieder fröhlich, als er dem Besucher seine Kammern mit chinesischen Rüstungen zeigte und seine Schwerter in kostbar verzierten Scheiden. Attilas Hand legte sich auf einen der Schwertgriffe, doch dann ließ er los. Bayan-Kasgar stand gleich rechts von ihm. Der Oberbefehlshaber schaute von der Tür her zu ihm herüber.
«In meinen
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