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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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war, dürfte Pulcheria wohl kaum erfreut gewesen sein, als ein neues Mädchen tanzend und lachend an diesen düsteren, unzugänglichen Hof kam: eine wirkliche Augenweide! Sie sollte dereinst Kaiserin werden.
    Bereits ihr Name war wunderschön: Athenais. Ihr Lachen, ihre schimmernden Augen, ihr Witz, ihr Lächeln, ihr glänzendes schwarzes Haar, das in Wellen auf ihre Schultern fiel   … Der Schwung ihrer Brauen, ihr sanft geschwungener Hals, die Augen von der Farbe dunklen Honigs, die Wimpern wie Rabenfedern. Wie sich ihre Hüften wiegten, wenn sie an einem vorbeischlenderte, nachdem sie einem gerade eine Spöttelei mit ihren vollen karmesinroten Lippen zugeraunt hatte.
    Athenais: das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe.

9.
Die Geschichte von Athenais
    Doch da war mehr als ihre Schönheit. Um das Herz eines Mannes nicht nur zu erobern, sondern auch zu behalten, bedarf es mehr als purer Schönheit. Und Athenais war weit mehr als nur schön.
    Sie kam im Zuge eines Gerichtsprozesses an den Kaiserhof. Sie war die Tochter eines berühmten und brillanten Athener Philosophieprofessors namens Leontius. In ihm, so hieß es, brenne jenes heilige Feuer, das vor so vielen Jahrhunderten Athen erleuchtet habe, damals, als das Leben auf dem Lyceum und der Akademie in voller Blüte stand. Nach Leontius’ Tod wurde ein Testament gefunden, in dem er seinen gesamten Besitz den beiden älteren Söhnen hinterließ, seiner über alles geliebten Tochter dagegen gar nichts. Zunächst versuchte Athenais, mit ihren Brüdern zu reden, doch sie erntete nur hämisches Gelächter. Sie hatten ihr stets übelgenommen, dass ihr Vater sie mehr liebte als sie. Und so wandte sie sich eben an das höchste Gericht von Byzanz, nämlich das Gericht des kaiserlichen Hofes in Konstantinopel. Dort wurde sie vorstellig. Sie erschien ohne Rechtsbeistand oder Anwalt.
    «Ich konnte mir keinen leisten», sagte sie mit schlichter Würde, als sie in ihrem einfachen weißen Umhang, der in der Taille von einem schmalen Ledergürtel zusammengehalten wurde, vor den Richtern stand. Diesen blieb der Mund offen stehen. «Daher werde ich mich selbst verteidigen.»
    Sie hatte die Wahrheit gesagt. Ihre Tante, Leontius’ betagte Schwester, hatte ihr eine kleine Börse mit Silbermünzengegeben; dies reichte gerade, um die Fahrt von Piräus zum Goldenen Horn zu bezahlen.
    Das Testament wurde vor Gericht verlesen. Nachdem er seinen Grundbesitz zu gleichen Teilen den beiden Söhnen vermacht hatte, schrieb Leontius lediglich in dürren Worten über seine Tochter: «Athenais hinterlasse ich keinen Heller. Sie wird ohnehin ihr Glück machen.»
    Athenais zuckte zusammen, als sie die grausamen Worte ihres Vaters hörte. Dann besann sie sich und begann sich zu verteidigen.
    Nach kurzer Zeit ließ man Theodosius rufen. Der gelehrte Kaiser würde an einem so seltsamen Spektakel sicherlich Gefallen finden.
    Zum Erstaunen der versammelten Legaten und Priester, Anwälte und Prätoren verteidigte dieses kleine Mädchen sich mit der Brillanz des erfahrensten, redegewandtesten alten Rechtskundlers in der Basilica. Sie verstand genau die ehrwürdigen vier Unterscheidungen des römischen Rechts:
lex, ius , mos
und
fas
. Sie zitierte aus dem Gedächtnis, aber wortgetreu die angesehensten Autoren: aus den dunkelsten kaiserlichen Dekretalen, aus dem gesamten Kanon des
ius civile
, den sie tadellos zu beherrschen schien, aus den
Orationes
Ciceros und den
Institutiones
Quintilians, aus den
Digesta
Ulpians und den
Quaestiones
Papinians; aus staubigen, halbvergessenen Pandekten, aus dunklen, verborgenen Winkeln der
responsa iurisprudentium
. Selbst aus Demosthenes’ Rede «Gegen Boetius» zitierte sie und führte absolut überzeugend aus, weshalb die Argumente dieses großen athenischen Redners auch heute noch gültig waren, obwohl das griechische Recht sich himmelweit vom römischen unterschied.
    «Gesetze erblicken wie Menschen das Licht der Welt, umzu sterben», sagte sie. «Doch die Gerechtigkeit ist unsterblich.»
    Ob es die bezwingende Geschmeidigkeit und Klarheit ihrer Stimme, ihre leuchtende Schönheit oder ihre erstaunliche Bildung war, die die versammelten ehrwürdigen Graubärte zum Verstummen brachte, ließ sich unmöglich entscheiden. Vielleicht die unwahrscheinliche Kombination aller drei Faktoren. Jedenfalls hatte sie sie zum Verstummen gebracht. Einige von ihnen dort auf den harten Steinbänken hatten schnell begonnen sich auszumalen, wie leicht es wohl wäre, dieses

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