Der schwarze Krieger
mittellose Mädchen zur Frau zu nehmen. Andere dagegen fluchten insgeheim, dass sie bereits vor geraumer Zeit eine Bindung eingegangen waren.
Es war undenkbar für ein Mädchen, dass es genauso gebildet war wie ein Junge. Doch Leontius selbst hatte sie unterrichtet. Seine Vorstellung von Erziehung war ebenso unorthodox wie die Worte in seinem Testament.
Das schlanke athenische Mädchen zitierte sogar aus dem Heiligen Buch der Christen, obwohl sie gar nicht getauft und als Heidin aufgewachsen war. Sie führte das Beispiel der Tochter des Zelofhad aus dem Buch Numeri an: «Und der Herr sprach zu Moses: ‹Die Töchter Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihnen ein Erbgut unter den Brüdern ihres Vaters geben und sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden.›» Ein Zitat aus ihren eigenen heiligen Schriften, so gelehrt und unverständlich, dass mehr als einer der Priester in dieser Versammlung großer Geister aufstand, um eine Bibel zu Rate zu ziehen.
Schließlich hatte sie ihr Plädoyer beendet und stand schweigend da. Nun wartete sie auf das Urteil.
Wenn das Gericht gegen sie entschied, würde sie ohne einen Heller auf der Straße stehen. Ein wunderschönes Mädchenwie sie – es war klar, welchen Weg sie da nehmen würde. Einige der Graubärte kramten sogar heimlich in ihren Taschen, um nachzusehen, ob sie genügend Kleingeld bei sich hatten. Immerhin konnten sie ihr ja nacheilen und ihr noch auf den Stufen des Gerichtssaals ein entsprechendes Angebot machen …
Nachdem er sich mit seinem engen Beraterkreis besprochen hatte, erhob sich Theodosius, um das Urteil zu sprechen.
Er räusperte sich und sah der jungen Frau fest in die Augen. «Ich finde, Leontius’ Testament ist gerecht», sagte er.
Die Anwesenden erzählten später, er habe, noch während er diese Worte aussprach, an Statur und Würde gewonnen. Es war, als hätte er sich innerhalb dieser wenigen Minuten bei Gericht, hier in Athenais’ Anwesenheit, plötzlich zu einem starken, charaktervollen Mann entwickelt. Und es stimmte: Er war erwachsen geworden, weil er sich zum ersten Mal in seinem Leben verliebt hatte.
«Leontius, dein weiser vorausschauender Vater, hatte recht», fuhr der Kaiser fort. «Du brauchst keine Erbschaft. Du wirst ganz gut auch ohne sie zurechtkommen.»
Athenais’ Augen blitzten zornig auf, doch sie sagte nichts.
«Du wirst dieses Gericht ebenso mittellos verlassen, wie du es betreten hast.» Theodosius schien dem Urteil noch einige Grausamkeiten hinzufügen zu wollen. Seine Höflinge hörten diese Worte und sahen zu dem Mädchen hinüber. Ihr Gesichtsausdruck war eine gefährliche Mischung aus Entschlossenheit und Verzweiflung.
Ohne ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und ging.
«Eines noch», rief Theodosius ihr nach, seine Stimme klang jetzt freundlicher. «Wenn du einwilligst, meine Frauzu werden, wird dir deine jetzige Armut unerheblich vorkommen.»
Sie blieb stehen, gegen jegliche Etikette mit dem Rücken zum Kaiser, den Kopf noch gesenkt.
Es war so still, man hätte eine Nadel im Gerichtssaal fallen hören.
Dann wandte sie sich um und sah ihn an.
Jede andere Frau in ihrer Situation hätte sofort eingewilligt, hätte sich dem Kaiser zu Füßen geworfen und wäre vor unverdientem Glück in Tränen ausgebrochen. Doch Athenais war anders.
Sie blickte dem jungen Kaiser ins Gesicht und verstieß damit erneut gegen alle Regeln bei Hof. Zum ersten Mal sah sie nicht das abstrakte Symbol der Macht und Herrschaft vor sich, eher vergoldete Ikone als Mensch aus Fleisch und Blut, bekleidet mit dem legendären tyrischen Purpurgewand und mit Gold behangen wie ein lebendiger Gott. Sie sah einen jungen, etwas schlaksigen Mann mit frischen, freundlichen Gesichtszügen, der kurzsichtig war, dessen Augen aber Intelligenz, Humor und Sehnsucht ausstrahlten. Vielleicht spürte sie dabei auch etwas von der Melancholie und Einsamkeit, die Kaisern und Königen zu eigen sind.
Plötzlich streifte sie die Ahnung, dass sie diesen Mann vielleicht eines Tages lieben könnte.
«Ich werde darüber nachdenken», sagte sie.
Ohne ein weiteres Wort und ohne eine einzige Kupfermünze in der Tasche drehte sie sich um und verließ raschen Schrittes den Gerichtssaal.
Wie im Traum lief sie durch die Straßen Konstantinopels.
All dies hier … all dies könnte ihr gehören. Sie wäre Kaiserin der halben römischen Welt. Wie viel Macht und Reichtum sie besitzen würde! Wie viel Gutes sie tun könnte! Dochsie würde der heidnischen Philosophie
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