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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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abschwören müssen, einem Gedankengebäude, das in tausend Jahren bei den Griechen entstanden war, und sich der Taufe in dieser eigenartigen asiatischen Religion unterziehen müssen, mitsamt ihren Wundern, dem Blut und dem menschlichen Opfer, wozu sich die Herrscher des Reiches nun bekannten.
    Was würde ihr Vater sagen? Vielleicht war ihr Vater ja klüger gewesen, als er selbst geahnt hatte.
    Sie stand im Herzen der Stadt, auf dem belebten Augusteion-Platz mit seinen vier Monumentalgebäuden, die Glanz und Elend der Menschheit in Gänze widerzuspiegeln schienen: vom Erhabenen, Geistigen und Geordneten bis hinab zu den dunkelsten, diabolischsten Winkeln des menschlichen Herzens. An der einen Ecke stand der große Gebäudekomplex des Mega Palation, der kaiserliche Palast mit seinen Höfen, den sie gerade verlassen hatte. Daneben befand sich das einschüchternde Senatsgebäude. An der dritten Ecke stand die wunderbare alte Hagia Sophia, die Kirche zur Heiligen Weisheit. Und an der vierten Ecke das Hippodrom, die Arena für das Wagenrennen zwischen den erbitterten Rivalen, den Blauen und den Grünen. Fast täglich strömten die Armen der Stadt hinein, um ihren Mannschaften zuzusehen, die wild durch den Staub galoppierten. Zuweilen artete das Ganze in ein Gemetzel aus ausgeklinkten Wagenachsen und fliegenden Karren aus, oft genug mit verletzten Männern und wiehernden Pferden. Oder es gab nach dem Wettrennen Schlägereien und Kämpfe – nicht selten wurde ein armer Anhänger der gegnerischen Mannschaft in einer dunklen Seitenstraße in die Enge getrieben, wo man ihm zur Warnung ein Ohr, die Nase oder einen Finger abschnitt   …
    Sie sah zu den vier großen Gebäuden auf, die sich scheinbar um sie herum zu drehen begannen. Dann gab sie sich einenRuck, verließ den Platz und schlenderte die Mese hinauf in westlicher Richtung. Einer schimmernden Marmorarterie gleich zog sich die Straße durch die Stadt, ein wahres Weltwunder. Sie ging an dem wunderbaren, mit Marmor gepflasterten Oval des Konstantinsforums vorbei, in dessen Mitte eine dreißig Meter hohe Porphyrsäule stand, die per Schiff aus Ägypten hertransportiert worden war, aus Heliopolis, der Stadt der Sonne. (Ich sehe sie vor mir, in ihrer strahlenden Herrlichkeit – ich kannte sie nur zu gut. Doch nie mehr werde ich die geliebte Stadt wiedersehen!) In den Sockel, auf dem die Säule ruhte, war die Axt eingelassen, mit der Noah die Arche gezimmert hat, die Körbe und die Überreste der Brotlaibe, mit denen Christus die fünftausend gespeist hat, sowie, aus Respekt für ältere Traditionen, das Standbild der Athene, das Äneas selbst aus Troja nach Rom gebracht hat. Oben auf der Säule, weit weg, wo nur Vögel und Engel vorüberflogen, stand eine weitere Figur und blickte in die Ferne. Der Körper war derjenige Apollos, wie ihn Phidias in Stein gehauen hatte, doch der Kopf, umgeben von einem Strahlenkranz, war der des Kaisers Konstantin, des Herrschers des gesamten Erdkreises unter dem Himmel.
    Hier schien sich die halbe Einwohnerschaft der Stadt versammelt zu haben. Huren und Hausierer drängten sich aneinander vorbei, Fischweiber und Feigenverkäufer, Messerschleifer, Singvogelhändler, Taschendiebe, Bauernfänger und Schlimmeres. Die Banden von Kinderdieben waren am schlimmsten. Sie hatten strahlende Kulleraugen und flinke Finger, wie räuberische Haselmäuse, die vor dem Winter noch schnell einen geheimen Vorrat anlegen müssen.
    An einer Ecke las ein Mann mit heiserer Stimme für eine begeisterte Zuhörerschar, die des Lesens nicht mächtig war, aus der berühmten Postille
Die Akten des römischen Volkes
vor.Sie johlten, wenn er verkündete, dass heute der Geburtstag eines unbedeutenderen Mitglieds der kaiserlichen Familie war, und lauschten gespannt, als er ihnen die Liste vorlas mit «Verbrechen, Strafen, Hochzeiten, Scheidungen, Todesfälle, Menetekel und Abscheulichkeiten». Sie waren zu Tränen gerührt, als sie vom Tod der heiligen Thekla drüben in Asien hörten, in der Wildnis hinter Nikopolis. Zu Zeiten der Christenverfolgungen war sie von einem gemeinen, götzendienerischen Kaiser den wilden Tieren vorgeworfen worden, doch ihre keuschen Anhängerinnen hatten Blumen in die Arena gestreut, um diese zu besänftigen. Dann wurde sie in einen See mit wilden Robben geworfen, sie jedoch waren alle wundersamerweise vom Blitz erschlagen worden. Sie hatte sich selbst in einem Wassergraben getauft, lebte noch über hundertfünfzig Jahre in einer Höhle weiter

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