Der schwarze Krieger
für welche Mannschaft sein Herz schlug. Besser, man traf am Tag eines Rennens auf keine Gruppe von Anhängern der gegnerischen Mannschaft …
Außerdem war es eine Stadt endloser theologischer Diskussionen. Während historisch gesehen die meisten Volksaufstände von einer Hungersnot, von Ungerechtigkeit oder grausamer Unterdrückung ausgelöst wurden, begehrte das byzantinische Volk wegen spitzfindiger theologischer Auseinandersetzungen oder winziger Änderungen in der christlichen Liturgie auf. Verärgert mischten sich diverse Kaiser in diese Debatten ein, versuchten das Ganze in seiner Komplexität zu begreifen, und schlugen neue Doktrinen vor, die verfeindete Gruppen aussöhnen sollten. «Aphthartodoketismus» war eine derartige Doktrin, die der alte Theodosius der Große angeregt hatte. Doch sie fand keinen Widerhall. Die Christen blieben ebenso aufrührerisch und reizbar wie die Mannschaften beim Wagenrennen.
War es nicht erst ein paar Jahre her, im Jahr der Gnade 415, als die überaus kluge Hypatia in den Straßen Alexandrias starb, niedergemetzelt von einem Mob wildgewordener Christen, die von Bischof Kyrill selbst angefeuertworden waren? Hypatia war Astronomin, Dichterin, Ärztin und Philosophin, und sie war eine der brillantesten Frauen ihrer Zeit. Aber sie war Heidin. Niemals hatte sie die Gottheit des jüdischen Zimmermannssohns anerkannt, und sie konnte jeden, der sich in eine Debatte mit ihr einließ, mit ihren Argumenten, die so schneidend wie eine Klinge aus Kreta waren, zum Schweigen bringen. Irgendwann hatten die Christen ihren klugen, klaren und gebildeten Skeptizismus jedoch satt – vielleicht auch ihre intellektuelle Überlegenheit, ihre hehre Leidenschaft, das reine Feuer, das in ihr brannte, ihr brennendes Verlangen nach Wahrheit und ihren Glauben an andere Dinge als den primitiven Kult Palästinas. Sicherlich hatte ihre unerschütterliche sanfte Gewissheit diese glühenden Verfechter des Irrationalen erzürnt. Und so lauerten sie ihr auf der Straße auf und erschlugen sie. Immer noch unbefriedigt, schabten ihr diese Verkünder der brüderlichen Liebe das Fleisch mit Austernschalen von den Knochen und schoben die blutige Masse im Rinnstein für die Hunde zusammen, damit diese es wie einst das Fleisch der durchtriebenen Jezebel verschlingen konnten, wie in den blutbefleckten Schriften der Christen zu lesen stand.
Selbst die Theologen beklagten, dass die Theologie sich allzu sehr verbreitete. Der große Lehrmeister der östlichen Kirche, der heilige Gregor von Nazianz, rief einmal verzweifelt aus, man könne nicht einmal einen Laib Brot in Konstantinopel kaufen, ohne von dem Bäcker in einen theologischen Disput über die wahre Beziehung zwischen Gottvater und -Sohn verwickelt zu werden. Ebenso, fuhr er fort, philosophiere der Geldwechsler darüber, ob der Ewige Gott einen sterblichen Sohn haben könne, anstatt einem sein Geld zu geben, und wolle man ein Bad nehmen, erkläre einem der Bademeister mit Sicherheit, dass der Sohn Gottes aus demNichts stamme. Der arme Gregor war von dem alten Kaiser Theodosius unfreiwillig zum Patriarchen der Stadt gemacht worden, doch nach nur einem Jahr floh er in seinen kleinen Geburtsort zurück und wurde Einsiedler.
In den Straßen zwischen den mit roten Ziegeln gedeckten Häusern hörte man ein babylonisches Sprachengewirr: Griechisch und Syrisch, Lateinisch und Hebräisch, Persisch und Armenisch. Es gab sogar ein paar Goten, die damals in der kaiserlichen Armee verpflichtet waren. Aufgrund ihrer langen, groben Gliedmaßen, ihrer schrecklich geröteten Gesichter, ihres struppigen blonden Haars und der kalten blauen Augen galten sie gemeinhin jedoch als minderwertige Rasse.
Die Reichen fuhren in Kutschen unter Baldachinen, die Fransen zierten und von schneeweißen Maultieren gezogen wurden. Kamelkarawanen drängten sich auf den Marktplätzen, sie kamen aus Persien, Indien oder über die Seidenstraße aus China. Allerdings ließ zu dieser Zeit der Handel merklich nach, nachdem nämlich ein findiger Kaufmann einige Eier des Seidenwurms aus Sogdien herausgeschmuggelt hatte und damit eine eigene byzantinische Seidenproduktion aufzog. Korn kam über Alexandria aus den riesigen Kornkammern Ägyptens, während Holz, Pelze und Juwelenschmuck der Barbaren aus den Steppen Skythiens und den Wäldern Germaniens geliefert wurden.
Auf dem Forum der Stadt stand eine gigantische Apollostatue, überragt von dem Kopf Konstantins auf einer Säule aus rotem Porphyr. Am
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