Der schwarze Krieger
eine zu einem kleinen ordentlichen Bündel gerollte Decke lag. «Mein Zuhause», sagte sie und strahlte.
Athenais lächelte. «Danke für das Brötchen!»
«Keine Ursache, mein Schatz.»
Kaum war sie weitergegangen, rief ihr die alte Frau hinterher: «Du legst es wohl darauf an, im Metanoia zu landen, was? Die Besserungsanstalt ist jetzt der einzige Ort für dich.»
Den ganzen Nachmittag über wanderte sie durch dieStadt. Sie war durstig. Ein anderer aus dem Heer der Armen, ein blinder Bettler ohne Beine, der neben dem St.-Irenäus-Brunnen saß, lieh ihr seinen alten, abgestoßenen Becher, um daraus zu trinken.
Dann betrat sie die dunkle Höhle der St.-Stephanos-Kirche, wo sie im flackernden Kerzenlicht die berühmte Ikone der Theotokos Pammakaristos, der Allseligen Gottesgebärerin, sah. Sie besaß den entrückten, gelassenen Gesichtsausdruck von jemand, der mit der Schäbigkeit und der Hektik des Lebens in der Stadt und auf der ganzen Welt nichts mehr gemein hat. Der goldene wurmstichige Rahmen, aus dem sie blickte, war über und über mit Küssen der Huren der Stadt bedeckt, die aus Liebe zu ihr jeden Tag hierherkamen. Sie verehrten sie als eine der ihren, sprachen sanft zu ihr als der freundlichen, allwissenden Mutter im Himmel. Stundenlang knieten sie hier im Dunkeln, wo es gut roch, vor ihr, mit ihren roten Lippen und umschatteten Augen, der Schweiß und Gestank ihres letzten Kunden noch an ihnen haftend.
Sie saß auf den Stufen vor der Kirche, meditierte über die Launen des Schicksals und sehnte sich nach ein paar reifen, saftigen Trauben, als ein vergoldetes Gespann, das von einem einzelnen weißen Maultier in purpurnem Zaumzeug gezogen wurde, am Fuß der Treppe anhielt. Der Wagenschlag wurde von einem der sechs hünenhaften nubischen Sklaven in makellos weißen Tuniken geöffnet, die zu Fuß nebenhergingen. Sie waren damals gerade sehr in Mode. Eine noble Dame aus der Stadt stieg aus, die Art von Dame, die in ihrem eleganten Stadthaus zahlreiche «Flüsterjungen» hielt. Damit waren jene kleinen nackten Sklavenjungen gemeint, die reiche Frauen zum Amüsement bei sich hatten. Sie ließen sich von ihnen Mandeln und kandierte Früchte bringen undKomplimente und süße Nichtigkeiten in ihr mit Perlenohrringen geschmücktes Ohr flüstern.
Die Dame trug einen geschmackvollen Umhang aus mitternachtsblauer Seide, der mit Perlen und Goldfaden bestickt war; die Stickereien zeigten das wundersame Leben und den Märtyrertod von Polycarpus, Bischof von Smyrna, eines ihrer Lieblingsheiligen. Er war auf drei Darstellungen zu sehen, einmal auf einem Scheiterhaufen, dann unter dem Schwert, und schließlich wie man ihn verbrannte. Es war eine bemerkenswerte Arbeit. Sicherlich hatte diese edle Dame noch viele weitere bestickte Umhänge zu Hause, jeder mit Bildern eines anderen Heiligen und – idealerweise – Märtyrers. Im Grunde war es ihr lieber, wenn ihre Heiligen Märtyrer waren, denn die gestickten und mit Perlen und Gold versetzten Darstellungen ihres Todes waren besonders prächtig und beeindruckend.
Ihr Lieblingsumhang war vielleicht jener hellgrüne mit der Darstellung des dramatischen Märtyrertods des heiligen Ignatius von Antiochien, der unter der Herrschaft von Kaiser Trajan den Löwen im Kolosseum zum Fraß vorgeworfen wurde. Sie freute sich jedes Mal auf seinen Festtag am 17. Oktober, dann konnte sie den Umhang tragen, ohne dass es überheblich oder unpassend gewirkt hätte. Außerdem trug sie etliche massive goldene Ringe, mit Edelsteinen oder kostbarem Emaille gearbeitet. In einen von ihnen war ein winziges Medaillon mit einer Locke des flachsblonden Haars von Johannes dem Täufer eingelassen.
Es handelte sich offenbar wirklich um eine große, heilige Dame.
Gerade begann sie, mit Hilfe zweier Sklaven, die den Saum ihres Gewandes anhoben, die staubigen Stufen der Kirche hinaufzuschreiten, die sie selbst so großzügig ausgestattethatte, als sich ihr ein Straßenmädchen frech in den Weg stellte.
Verwundert zog die große Dame ihre geschminkten Augenbrauen in die Höhe.
Athenais streckte die Hand aus und holte Luft, um etwas zu sagen. Doch dann hielt sie inne.
Die Dame musterte sie rasch von oben bis unten, bevor sie sich hochmütig abwandte.
Athenais trat erneut direkt vor sie und schaute sie an.
Die große Dame geriet in Zorn. «Aus dem Weg, du Dirne! Wie kannst du es wagen, mich so anzusehen!»
Athenais lächelte sanft. «Bald werdet Ihr es nicht mehr wagen,
mich
anzusehen.»
Die Dame
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