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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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verschaffen, egal welcher Art   – Regen an einem trockenen Tag, ein neugeborenes Kalb, alles, jede Gunst, die die Götter vom Himmel fallen lassen.» Sie beäugte sie listig. «Vielleicht seid ja Ihr das Glück, das ihm widerfährt. Vielleicht besteht sein Glück darin, die Vernichtung unserer Feinde zu sehen.»
    «Sag uns, was du über deine Feinde weißt. Erzähl uns von den Kutrigur-Hunnen, den Budun-Boru.»
    Die alte Priesterin stocherte mit einem dünnen Stock im Feuer. Sie schob einzelne Glutstückchen zurück in die Mitte.
    «Ihr sollt sie bei ihrem Namen kennenlernen», sagte sie. «Sie haben Namen wie Rote Krähe und Schwarzer Sumpf, Schlangenhaut und Himmel-in-Fetzen, Kieselzahn, Halbohr, Blutmitternacht und Falke-im-Regen. Solche Namen tragen keine Menschen. Solche Namen tragen die Dämonen aus der Hölle.»
    Attila deutete mit seinem Kopf zu dem toten Krieger, der an den Pfahl gebunden war. «Dämonen tötet man nicht so leicht wie diesen.»
    Sie starrte wieder in den Feuerschein. Ihr Lächeln verschwand. Sie wiederholte, die Kutriguren seien Dämonen in menschlicher Gestalt.
    «Lasst mich euch von diesem Volk erzählen.» Sie spuckte ins Feuer. «Von diesem Volk und von meinem eigenen, das stirbt.»
    Eine lange Stille herrschte, bis die alte Frau sich ihre Geschichte wieder ganz vergegenwärtigt hatte. Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme ganz tief und strahlte große Autorität aus.
    «Mein Volk glaubte, es sei die gesamte Menschheit. Es gäbe keine anderen, es gäbe niemand außer uns. Das war in der Zeit vor aller Zeit, als Naga, die Große Mutter, sich zum ersten Mal mit Ot-Utsir verband, dem Urgrund der Jahre, und uns aus ihrem Schoß gebar. Als wir zum ersten Mal anderen begegneten, als wir das große Sandmeer durchquerten, glaubten wir, sie seien Tiere und nicht Menschen wie wir. Jetzt wissen wir, dass wir uns getäuscht haben. Aber nicht in den Kutriguren. Sie sind noch immer keine Menschen. An dem Tag, als die Große Mutter diesen Stamm erschuf, ließ sie ihren Lehm in ein Beet mit bösen Blumen fallen: Nachtschattenund Efeu   … Farnkraut für die Pferde. Daraus sind die Kutriguren gemacht. Gift fließt in ihren Adern, Schlangen brüten in den Haaren. Ihre Fingernägel sind Klauen. Sie sind die verwahrlosten Nachkommen, die bösen Kinder von Naga und Ot-Utsir, und es bereitet ihnen Freude, so zu sein. Denn das Böse gleicht einem mächtigen Trank. Wenn du ihn zum ersten Mal kostest, wird dir übel. Doch nach einer Weile möchtest du mehr, dein Verlangen danach wächst, und du brauchst immer mehr davon.
    Wir selbst, der Stamm der Menschen, werden vom Fluch der Kutriguren geplagt. Die Große Mutter hat uns im Zorn heimgesucht, und wir wissen nicht, wie oder warum. Da war dieses Mädchen   …» Die alte Priesterin hielt inne.
    Ihr Atem ging schnell – sie konnten sehen, wie ihre flache Brust sich bewegte   –, und ihr Kopf war tief gebeugt. Die Fäuste lagen fest geballt auf den Knien. Sie warteten. Schließlich hob sie das Gesicht ein wenig und sprach weiter.
    «Damals, als wir noch ein großes Volk waren mit mehr Pferden in unseren Pferchen, als wir zählen konnten, da gab es ein Mädchen, ein schönes Mädchen.» Sie schluckte. «Sie glich einem Vogel, einem Nektarvogel, und ihr Ehemann war wie ein Adler. Sie   … Eines Tages ritt sie mit ihrem Sohn, ihrem kleinen rotwangigen Sohn, hinaus in die Ebene. Der Junge hatte zwei Sommer und zwei Winter erlebt. Choro wurde er gerufen, denn er sollte ein großer Anführer werden. Damals war er noch zu klein, um seine pummeligen Arme ganz um die Taille seiner Mutter zu schlingen.» Sie lachte plötzlich schmerzerfüllt auf.
    Sie warteten.
    «Ihr kleiner Junge. Er hielt sich an seiner Mutter fest, so gut das mit seinen Fäustchen eben möglich war. Sie nahm ihn mit hinaus in die von Frühling erfüllte Ebene, um ihmAntilopen zu zeigen. Er liebte es, Tieren zuzusehen, wie alle Kinder. Ihr Mann ermahnte sie: ‹Gib Acht. Gib Acht auf unseren Sohn, er ist unser Erstgeborener und unser einziges Kind.› Und sie hatte gelacht und versichert, dass sie Acht geben würde. Sie hatte keine Angst, sie warf ihren jugendlichen Kopf zurück und lachte. Sie war ja ein Nektarvogel.»
    Wieder war es still.
    «Sie sahen viele Antilopen, und das Mädchen nahm ihren Kurzbogen, denn sie war eine geübte Bogenschützin. Sie schoss einen Hasen und auch ein Rebhuhn für ihre Familie. Auf ihrem Rückweg sahen sie einen Hirsch, der allein war, aber das

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