Der schwarze Krieger
scheuchte die Männer in die Dunkelheit ihrer Hütte hinein, verriegelte die Tür und warf einige frische Reisigbündel auf das Feuer in der Mitte der Hütte. Mit überkreuzten Beinen saßen sie in der verrauchten Finsternis, lauschten dem heulenden Wind und tranken vergorene Schafsmilch – sie nannte es
arak
–, die sie in einer gesprungenen Schale herumreichte.
Als das Feuer sich knisternd neu entfachte, sahen sie, dass die Frau wirklich sehr alt war. Dennoch wirkte sie rüstig, und ihre hellen, kleinen Augen, hart und glasiert wie die einer Schlange, funkelten in ihrem runzeligen Gesicht. Ihre Wangenwaren von tiefen Falten durchfurcht, wie Ackerland, das ein Verrückter bei Nacht gepflügt hatte. Als sie aber ihren langen Schal von ihrem Kopf zog, sahen sie, dass sie in ihre langen weißen Haare noch immer einige farbige Bänder einflocht wie ein eitles junges Mädchen, und sie lächelten.
Höflich reichte Attila die Schale an sie weiter.
«Also», setzte er an, «die Kutriguren, die Plünderer. Wie viele sind es?»
Sie nahm einen langen Schluck und schmatzte mit den Lippen, die das Alter und der Wüstenwind ganz dünn und trocken hatten werden lassen. Sie lächelte. Dann nahm sie einen weiteren Schluck, stellte die Schale nieder und wischte sich die Lippen mit dem Zipfel des Schals ab.
«Wie viele?», fragte sie. Sie breitete die Arme weit aus. «Viele.»
Er wusste, was das bedeutete. Es hieß, dass in ihrer Sprache kein Wort für eine so große Zahl existierte.
«Für jeden von uns», drängte er sie, «wie viele von ihnen?»
Sie nahm die Schale erneut auf, leerte sie und wies Orestes an, sie aus dem Lederkrug in der Ecke aufzufüllen. Orestes schaute Attila an, der wirkte belustigt. Dann tat Orestes, wie ihm aufgetragen.
«Wie viele für jeden von euch?», fragte sie. «Genug.» Sie gackerte. «Zehn von ihnen für jeden von euch.»
«Eintausend.»
«Vielleicht zwanzig.»
Attila sah zu Chanat hinüber. «Vielleicht zweitausend, sagt sie.»
Chanat blickte gequält drein. «Mein Herr, wir können nicht –»
Attila deutete ein Lächeln an. «Wir bleiben, so wie du esgewünscht hast, tapferer Chanat. Aber sei unbesorgt. Dornen sorgen für starke Verbündete.»
Chanat runzelte die Stirn.
Attila sagte zur Alten: «Wann kehren sie zurück, die Plünderer?»
Sie schüttelte den Kopf. «Es ist unsere Aufgabe, zu ihnen zu gehen. In zwei Tagen ist ein weiterer Tribut an sie fällig.» Sie spuckte mit erstaunlicher Kraft in die Flammen, und das Feuer zischte und duckte sich unter ihrer Bitterkeit.
«Zwei Tage», wiederholte Attila. «Dann werden wir morgen losziehen und einen Kadaver für sie auftreiben.»
Die alte Frau sah ihn verwundert an.
Attila lachte.
***
Der Tag nach dem Sturm war ruhig. Das hohe Tafelland war ausgedörrt und vom Sand aufgescheuert, es sah wie der Mantel eines räudigen, wilden Hundes aus, trostloser denn je. Attila nahm vier seiner Männer, Orestes und Chanat, Yesukai und Geukchu, und ritt mit ihnen langsam ostwärts in Richtung des tiefer liegenden Landes und des Flusses, wo die Kutriguren lagerten. Es war sehr kalt.
Von dem hohen, steinigen Plateau gelangten sie hinab auf eine Ebene mit grauem Gras, durchsetzt von Steinhaufen und versteinerten Baumstümpfen eines lang verschwundenen Waldes. Der scharfe Wind heulte zwischen den Steinen, und das rosig graue Dämmerungslicht war nur ein frostiger Streifen Himmel am entfernten Horizont. Sie verfolgten lange Schatten, die über das Gras flackerten und tanzten, und bewegten sich befangen zwischen den
ovoos
. Diese Steinhaufen, Denkmäler namenloser Nomadenvölker, geschmücktund behängt mit bunten Flechtbändern aus Wolle, mit Schulterblättern von Schafen, mit Vogelschädeln und seltsam geritzten Steinen voller Windungen und Linien und Spiralen, als seien die Formen uralter Muscheln in ihnen gefangen.
Zu ihrer Rechten erhoben sich bald scharfkantige Berge aus dunkelgrauem Schiefer. Hier unten waren sie mit späten gelben und violetten Winden und Wicken bedeckt, die in den sonnenerwärmten Spalten noch am Leben festhielten. Hoch auf den Hängen der Berge sahen sie eine Gruppe Trampeltiere vorüberziehen und dabei Futter aufnehmen und wiederkäuen. Die Reiter hielten an und beobachteten die Tiere: ihre großen, weichen Füße auf dem flachen Stein und ihre aristokratische Melancholie, die sich hier, dem Wind und dem Stein ausgesetzt, nicht behaupten konnte.
Attila und seine Männer durchquerten das trostlose Grasland und
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