Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Titel: Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
des Shops sind nur durch einen dünnen Verschlag voneinander getrennt, durch welchen das, was gesprochen worden; ist, leicht gehört werden konnte. Und wenn ich mich nicht irre, saßen zwei Chinesen ganz nahe an diesem Verschlage auf einer Bank allein.«
    »Das ist richtig,« stimmte der Engineer bei. »Das waren die beiden Firsthands 21 , deren wir uns als Vermittler bedienen.«
    »Muß man da nicht annehmen, daß sie ehrliche Leute sind?« fragte Old Shatterhand.
    »Das nicht, Sir! Diese Burschen sind alle Halunken, vom ersten bis zum letzten. Sie stehlen nur dann nicht, wenn es nichts zu stehlen gibt, und ihr Hauptgrundsatz ist der, daß es keine Sünde und Schande, sondern vielmehr ein gutes Werk und eine Ehre ist, den Weißen so viel wie möglich zu übervorteilen. Daß ein Chinese es bis zum Firsthand gebracht hat, ist gar kein Grund, darauf zu schließen, daß er ehrlicher als die andern sei, sondern grad im Gegenteile: er ist intelligenter, und also darf man ihm noch weniger trauen. Wollen wir uns die beiden einmal gründlich vornehmen?«
    »Ja. Zunächst aber treten wir hier in das Haus, damit Ihr Euch überzeugen könnt, daß die Gewehre verschwunden sind.«
    Der Engineer schloß die Thür auf und brannte drinnen ein Licht an. Bei dem Scheine desselben sah man nicht nur, daß die Gewehre fehlten, sondern erkannte auch die Art und Weise, in der sie gestohlen worden waren, denn in der Decke war ein Loch, durch welches die Diebe Zugang gefunden hatten.
    Es versteht sich ganz von selbst, daß den beiden Geschädigten der Verlust ihrer unvergleichlichen Waffen nicht gleichgültig war; aber ihre Gewöhnung, sich in allen Lagen zu beherrschen, hatte zur Folge, daß sie kein klagendes Wort darüber äußerten. Der Engineer aber zeigte sich wütend und versicherte, daß er die Thäter totprügeln lassen werde.
    »Erst müssen wir sie entdecken,« meinte Old Shatterhand ruhig. »Und selbst dann, wenn wir sie haben, werde ich gegen eine so unmenschliche Bestrafung sein.«
    »Sollen sie etwa gar straflos ausgehen, Sir?« fragte der Beamte.
    »Nein; aber wir können Justiz üben, ohne grausam zu sein.«
    »Bedenkt, daß wir uns im wilden Westen befinden! Im Osten würde man die Diebe auf einige Zeit einsperren; hier aber gilt, das Gesetz der Prairie. Nach diesem wird ein Pferdedieb mit dem Tode bestraft, und ich denke, daß die gestohlenen Waffen mehr wert sind, als ein Pferd. Nicht?«
    »Allerdings. Dennoch bitte ich Euch, es lieber uns zu überlassen, die Strafe zu bestimmen; sie wird groß genug, aber nicht ungerecht sein. Jetzt wollen wir nach dem Shop gehen, um die Chinesen vorzunehmen.«
    Die Arbeiter waren alle noch munter. Selbst diejenigen, die sich vorher niedergelegt gehabt hatten, saßen wieder an den Tischen, um sich über das, was passiert war, zu unterhalten. Die beiden Firsthands hatten ihre vorigen Plätze eingenommen; sie fühlten sich nicht sicher und betrachteten die Eintretenden mit ängstlich forschenden Blicken. Old Shatterhand forderte sie kurz und in bestimmtem Tone auf:
    »Kommt einmal mit uns herein in die andre Abteilung!«
    Sie standen auf und folgten. Dabei raunte der eine dem andern zu:
    »
Schuet put tek!
«
    Dem scharfen Ohre Old Shatterhands entgingen diese Worte nicht; als er sie hörte, breitete sich ein leises befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Der Sprecher hatte sich seiner heimatlichen, also der chinesischen Sprache bedient und dabei sehr leise gesprochen; er war also vollständig davon überzeugt, nicht verstanden worden zu sein, denn selbst falls seine Worte an irgend ein Ohr gedrungen sein sollten, gab es doch hier, so weit von China entfernt und mitten in der Wildnis, gewiß keinen Menschen, welcher der chinesischen Sprache mächtig war. Er ahnte nicht, daß Old Shatterhand sich während seiner langen und weiten Reisen auch in China aufgehalten hatte, und nie ein Land besuchte, ohne vorher die Sprache desselben kennen zu lernen.
    Als sie dann drin in der kleinen Abteilung vor ihm standen, ließ er seinen durchdringenden Blick scharf über sie gleiten und sagte, indem er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und den Hahn desselben drohend knacken ließ:
    »Ihr befindet euch in einem fremden Lande. Kennt ihr die Gesetze desselben?«
    Sie hoben ihre Augen frech zu ihm auf, und der eine antwortete:
    »Dieses Land hat sehr viele Gesetze, welche davon meint Ihr, Sir?«
    »Die, welche sich auf den Diebstahl beziehen.«
    »Die kennen wir.«
    »So sag einmal, womit der Diebstahl

Weitere Kostenlose Bücher