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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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es schlimmer wird, vor den namenlosen Ängsten, die noch gekommen wären, stärker als die, die er selbst beschworen hat, und schließlich vor dem krötenhafen Dahindämmern in Stumpfsinn? Aber ist er sicher, daß er das kann? Ist er sicher, daß er nicht gerade mit seinen Rettungsversuchen dich zerbricht oder dich rascher dahin stößt, wovor er dich retten will? Wer weiß das? Was weiß dieser Wissenschafler, dieser Schmetterlingssammler schon vom Fliegen, vom Wind, von den Gefahren und dem Entzücken der Tage und Nächte ohne Raum und Zeit? Kennt er die Zukunf? Hat er den Mond getrunken? Weiß er, daß Pflanzen schreien? Er lacht darüber. Für ihn ist das alles nur eine Ausweichreaktion auf ein brutales Erlebnis. Aber ist er ein Prophet, der voraussieht, was geschehen wird? Ist er Gott, daß er weiß, was geschehen muß? Was hat er schon von mir gewußt? Daß es ganz gut wäre, wenn ich etwas verliebt gewesen wäre? Aber was weiß ich selbst davon? Es ist aufgebrochen und strömt und hat kein Ende, was habe ich davon geahnt? Wie kann man so hingegeben sein an jemand? Habe ich es nicht selbst immer wieder fortgewiesen in den Wochen, die nun wie ein unerreichbarer Sonnenuntergang fern am Horizont liegen? Aber was klage ich? Worum habe ich Angst? Kann nicht
    alles gut werden und Isabelle gesund und –
      Da stocke ich. Was dann? Wird sie nicht fortgehen? Und ist dann nicht plötzlich eine Mutter mit einer Pelzstola da, mit diskretem Parfüm, mit Verwandten im Hintergrund und Ansprüchen für ihre Tochter? Ist sie dann nicht verloren für mich, der nicht einmal genug Geld zusammenbringen kann, um sich einen Anzug zu kaufen? Und bin ich vielleicht nur deshalb so verwirrt? Aus stumpfem Egoismus, und alles andere ist nur Dekoration?
      Ich trete in eine Kcllerkneipe. Ein paar Chauffeure sitzen da, ein welliger Spiegel wirf mir vom Büfett her mein verzogenes Gesicht zurück, und vor mir, in einem Glaskasten, liegt ein halbes Dutzend vertrockneter Brötchen mit Sardinen, die vor Alter die Schwänze hochkrümmen. Ich trinke einen Korn und habe das Gefühl, daß mein Magen ein tiefes, reißendes Loch hat. Ich esse die Brötchen mit den Sardinen und noch einige andere mit altem, hochgewölbtem Schweizer Käse; sie schmecken scheußlich, aber ich stopfe sie in mich hinein und esse Würstchen hinterher, die so rot sind, daß sie fast wiehern, und ich werde immer unglücklicher und hungriger und könnte das Büfett anfressen.
      «Mensch, Sie haben aber einen schönen Appetit», sagte der Wirt.
      «Ja», sage ich. «Haben Sie noch irgend etwas?»
      «Erbsensuppe. Dicke Erbsensuppe, wenn Sie da noch Brot reinbrocken –»
      «Gut, geben Sie mir die Erbsensuppe.»
      Ich schlinge die Erbsensuppe hinunter, und der Wirt bringt mir freiwillig, als Zugabe, noch einen Kanten Brot mit Schweineschmalz. Ich verputze ihn auch und bin hungriger und unglücklicher als vorher. Die Chauffeure fangen an, sich für mich zu interessieren. «Ich kannte mal jemand, der konnte dreißig
    harte Eier auf einen Sitz essen», sagt einer.
      «Das ist ausgeschlossen. Da stirbt er; das ist wissenschaflich nachgewiesen.»
      Ich starre den Wissenschafler böse an. «Haben Sie es gesehen?» frage ich.
      «Es ist sicher», erwidert er.
      «Es ist gar nicht sicher. Wissenschaflich nachgewiesen ist nur, daß Chauffeure früh sterben.»
      «Wieso denn das?»
      «Wegen der Benzindämpfe. Langsame Vergifung.»
      Der Wirt erscheint mit einer Art italienischem Salat. Er hat seine Schläfrigkeit gegen ein sportliches Interesse eingetauscht. Woher er den Salat mit der Mayonnaise hat, ist ein Rätsel. Der Salat ist sogar frisch. Vielleicht hat er ihn von seinem eigenen Abendessen geopfert. Ich vertilge ihn noch und breche auf – mit brennendem Magen, der immer noch leer scheint und um nichts getröstet.
      Die Straßen sind grau und trübe beleuchtet. Bettler stehen überall herum. Es sind nicht die Bettler, die man früher kannte – es sind jetzt Amputierte und Schüttler und Arbeitslose und alte, stille Leute mit Gesichtern wie aus zerknittertem farblosem Papier. Ich schäme mich plötzlich, daß ich so sinnlos gefressen habe. Hätte ich das, was ich hinuntergeschlungen habe, an zwei oder drei dieser Leute gegeben, so wären sie für einen Abend satt geworden, und ich wäre nicht hungriger, als ich es jetzt noch bin. Ich nehme das Geld, das ich noch bei mir habe, aus der Tasche und gebe es weg. Es ist nicht mehr viel, und

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