Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
anderer Smoking. Die Witwe hat den ihren bei einem Schneider dafür eingetauscht und auf diese Weise gezahlt, ohne mein Zartgefühl zu verletzen – Du siehst es hier – der Smoking der Witwe war auf Satin gefüttert, dieser hier hat reine Seide. Er paßt mir auch unter den Ärmeln besser. Der Preis ist, durch die Inflation, in Goldmark derselbe; das Stück eleganter. So macht sich Zartgefühl ausnahmsweise einmal sogar bezahlt.»
Ich betrachte ihn. Der Smoking ist gut, aber auch nicht ganz neu. Ich vermeide es, Georgs Zartgefühl zu verwirren und zu behaupten, daß auch dieses Stück wahrscheinlich von einem Toten stamme. Was stammt schließlich nicht von Toten? Unsere Sprache, unsere Gewohnheiten, unser Wissen, unsere Verzweiflung – was nicht? Georg allerdings hat im Kriege, besonders im letzten Jahr, so viele Uniformen von Toten getragen, manchmal noch mit fahlen Blutflecken und den gestopfen Einschußlöchern, daß es nicht nur neurotisches Zartgefühl bei ihm ist, wenn er das jetzt nicht mehr will – es ist Rebellion und der Wunsch nach Frieden. Und Frieden symbolisiert sich für ihn darin, nicht mehr Anzüge von Toten tragen zu müssen.
«Was machen die Filmschauspielerinnen Henny Porten, Erna Morena und die unvergeßliche Lia de Putti?» frage ich.
«Sie haben dieselben Sorgen wie wir!» erklärt Georg.
«Sich so schnell wie möglich in Sachwerte zu flüchten, Autos, Pelze, Tiaras, Hunde, Häuser, Aktien und Filmproduzenten – nur fällt es ihnen leichter als uns.»
Er schaut liebevoll auf das Bild einer Hollywood-Party. In unbeschreiblicher Eleganz sieht man dort das Bild eines Balles. Die Herren sind, wie Georg, im Smoking oder im Frack. «Wann bekommst du einen Frack?» frage ich.
«Nachdem ich mit meinem Smoking auf dem ersten Ball gewesen bin. Ich werde dazu nach Berlin ausreißen! Drei Tage! Irgendwann, wenn die Inflation zu Ende ist und Geld wieder Geld ist und kein Wasser. Inzwischen bereite ich mich vor, wie du siehst.»
«Dir fehlen die Lackschuhe», sage ich, zu meinem Erstaunen irritiert über den selbstzufriedenen Mann von Welt.
Georg holt das goldene Zwanzigmarkstück aus der Westentasche, wirf es hoch, fängt es auf und steckt es wortlos wieder ein. Ich betrachte ihn mit fressendem Neid. Da sitzt er, ohne viel Sorgen, eine Zigarre steckt in seiner Brusttasche, sie wird nicht bitter wie Galle schmecken wie mir Wernickes Brasil, drüben haust Lisa und ist vernarrt in ihn, einfach, weil er der Sohn einer Familie ist, die bereits ein Geschäf hatte, während ihr Vater noch ein Gelegenheitsarbeiter war. Sie hat ihn als Kind angestaunt, wenn er einen weißen Umlegekragen trug und auf den Locken, die er damals noch besaß, eine Matrosenmütze, während sie ein Kleid aus dem alten Rock ihrer Mutter schleppte – und bei diesem Staunen ist es geblieben. Georg braucht nichts weiter zu seiner Glorie zu tun. Lisa weiß nicht einmal, glaube ich, daß er kahl ist – für sie ist er immer noch der bürgerliche Prinz im Matrosenanzug.
«Du hast es gut», sage ich.
«Ich verdiene es auch», erwidert Georg und klappt die Hefe des
Lesezirkels Modernitas zu. Dann holt er ein Kistchen Sprotten von der Fensterbank und zeigt auf ein halbes Brot und ein Stück Butter. «Wie wäre es mit einem schlichten Nachtessen mit Blick auf das abendliche Leben einer mittleren Stadt?»
Es sind dieselben Sprotten, bei denen mir auf der Großen Straße vor dem Laden das Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Jetzt kann ich sie plötzlich nicht mehr sehen.
«Du erstaunst mich», sage ich. «Warum ißt du zu Abend? Warum dinierst du nicht in deiner Kluf im ehemaligen Hotel Hohenzollern, im jetzigen Reichshof? Kaviar und Seetiere?»
«Ich liebe Kontraste», erwidert Georg. «Wie sollte ich sonst leben, als Grabsteinhändler in einer Kleinstadt mit der Sehnsucht nach der großen Welt?»
Er steht in voller Pracht am Fenster. Über die Straße kommt plötzlich ein heiserer Bewunderungsruf. Georg stellt sich en face, die Hände in den Hosentaschen, so daß die weiße Weste zur Geltung kommt. Lisa zerschmilzt, soweit das bei ihr möglich ist. Sie zieht den Kimono um sich, vollführt eine Art arabischen Tanz, wickelt sich heraus, steht plötzlich nackt und dunkel als Silhouette vor ihrer Lampe, wirf den Kimono wieder um, stellt die Lampe neben sich und ist aufs neue warm und braun, von Kranichen überflogen, ein weißes Lachen wie eine Gardenie im gierigen Mund.
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