Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Georg, wie ein Pascha, nimmt die Huldigung hin und läßt mich wie einen Eunuchen, der nicht zählt, daran teilnehmen. Er hat durch diesen Augenblick für lange Zeit hinaus den Knaben im Matrosenanzug, der dem zerlumpten Mädel imponiert hat, aufs neue in seiner Stellung gefestigt. Dabei ist ein Smoking für Lisa, die unter den Schiebern der Roten Mühle zu Hause ist, wahrhafig nichts Neues; aber bei Georg ist das natürlich etwas ganz anderes. Reines Gold. «Du hast es gut», sage ich noch einmal. «Und einfach! Riesenfeld könnte sich Arterien aufeißen, Gedichte machen und seine Granitwerke ruinieren – er würde nicht schaffen, was du als Mannequin erreichst.»
Georg nickt. «Es ist ein Geheimnis! Aber dir will ich es verraten. Tue nie etwas kompliziert, was auch einfach geht. Es ist eine der größten Lebensweisheiten, die es gibt. Sehr schwer anzuwenden. Besonders für Intellektuelle und Romantiker.»
«Sonst noch was?»
«Nein. Aber produziere dich nie als geistiger Herkules, wenn eine neue Hose dasselbe erreicht. Du irritierst so deinen Partner nicht, er braucht sich nicht anzustrengen, dir zu folgen, du bleibst ruhig und gelassen, und das, was du willst, fällt dir, bildlich gesprochen, in den Schoß.»
«Mach dir keinen Fettfleck auf die Seidenaufschläge», sage ich. «Sprotten tropfen leicht.»
«Du hast recht.» Georg zieht den Rock aus. «Man soll sein Glück nie forcieren. Ein weiteres beachtenswertes Motto.»
Er greif wieder nach den Sprotten. «Warum schreibst du nicht Motto-Serien für Kalenderfirmen?» frage ich erbittert den leichtfertigen Bauchredner der Lebensweisheit. «Es ist schade, solche Platitüden nur so in das Universum hineinzureden.»
«Ich schenke sie dir. Für mich ist das ein Stimulans, keine Platitüde. Wer von Natur schwermütig ist und noch einen solchen Beruf hat, muß alles tun, um sich zu erheitern, und soll dabei nicht wählerisch sein. Abermals ein Motto.»
Ich sehe, daß ich ihm nicht beikommen kann, und verschwinde deshalb, als die Sprottenkiste leer ist, in meiner Bude. Aber auch da kann ich mich nicht austoben – nicht einmal auf dem Klavier, des sterbenden oder toten Feldwebels wegen –, und Trauermärsche, das einzig Mögliche, habe ich ohnedem genug im Kopf.
XXII
Im Schlafzimmer des alten Knopf taucht plötzlich ein Gespenst auf. Es dauert eine Weile, ehe ich im spiegelnden Mittagslicht den Feldwebel erkenne. Er lebt also noch und hat sich aus dem Bett ans Fenster geschleppt. Grau stiert der Kopf über dem grauen Nachthemd in die Welt.
«Sieh an», sage ich zu Georg. «Er will nicht in den Sielen sterben. Das alte Schlachtroß will einen letzten Blick in die Richtung der Werdenbrücker Schnapsfabriken tun.»
Wir betrachten ihn. Der Schnurrbart hängt als trauriges Gestrüpp vom Munde. Die Augen sind bleifarben. Er glotzt noch eine Zeitlang, dann kehrt er sich ab.
«Das war sein letzter Blick», sage ich. «Rührend, daß selbst eine so abgehärtete Seele von einem Menschenschinder noch einmal die Welt anschauen will, bevor sie sie für immer verläßt. Ein Stoff für Hungermann, den sozialen Dichter.»
«Er tut einen zweiten Blick», erwidert Georg.
Ich verlasse den Vervielfältigungsapparat Presto, an dem ich Katalogblätter für unsere Vertreter hektographiere, und komme zum Fenster zurück. Der Feldwebel steht wieder da. Er hebt hinter den spiegelnden Fensterscheiben etwas hoch und trinkt. «Seine Medizin!» sage ich. «Wie doch selbst die wüsteste Ruine am Leben hängt! Ein zweiter Stoff für Hungermann.»
«Das ist keine Medizin», erwidert Georg, der schärfere Augen hat als ich. «Medizin kommt nicht in Schnapsflaschen.»
«Was?»
Wir öffnen unser Fenster. Die Spiegelung verschwindet, und ich sehe, daß Georg recht hat: Der alte Knopf säuf aus einer unverkennbaren Schnapspulle. «Ein guter Einfall seiner Frau», sage ich, «ihm Wasser in eine Schnapsflasche zu füllen, damit er es so leichter trinkt. Denn Schnaps hat er nicht mehr in der Bude; alles ist ja durchsucht worden.»
Georg schüttelt den Kopf. «Wenn das Wasser wäre, hätte er die Flasche längst durchs Fenster geschmissen. Solange ich den Alten kenne, hat er Wasser nur zum Waschen benützt – und das auch nicht gern. Das da ist Schnaps, den er trotz der Haussuchung noch irgendwo versteckt gehabt hat, und du, Ludwig, hast das erhabene Schauspiel vor dir, einen Menschen mutig seinem Schicksal
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