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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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ich beraube mich nicht damit; morgen um zehn Uhr früh wird es ohnehin ein Viertel weniger wert sein, wenn der Dollarkurs herauskommt. Die deutsche Mark hat zum Herbst hin die zehnfache galoppierende Schwindsucht bekommen. Die Bettler wissen es und verschwinden sofort, da jede Minute kostbar ist; der Preis für die Suppe kann in einer Stunde schon um einige Millionen Mark gestiegen sein. Das richtet sich danach, ob der Wirt morgen wieder einkaufen muß oder nicht – und auch danach, ob er ein Geschäfemacher ist oder selbst ein Opfer. Wenn er selbst ein Opfer ist, ist er Manna für die kleineren Opfer und erhöht seine Preise zu spät.
      Ich gehe weiter. Aus dem Stadtkrankenhaus kommen ein paar Leute. Sie umgeben eine Frau, die ihren rechten Arm in einer Schiene hochgebunden hat. Ein Geruch von Verbandsmitteln weht mit ihr vorbei. Das Krankenhaus steht wie eine Lichtburg in der Dunkelheit. Fast alle Fenster sind erleuchtet; jedes Zimmer scheint besetzt zu sein. In der Inflation sterben die Leute schnell. Wir wissen das auch.
      Ich gehe in der Großen Straße noch zu einem Kolonialwarengeschäf, das of noch nach dem offiziellen Ladenschluß offen ist. Wir haben mit der Besitzerin ein Abkommen getroffen. Sie hat für ihren Mann von uns einen mittleren Hügelstein geliefert bekommen, und wir haben dafür das Recht, zum Dollarkurs vom zweiten September für Mark im Werte von sechs Dollar Waren bei ihr zu entnehmen. Es ist ein verlängertes Tauschgeschäf. Das Tauschen ist ohnehin längst überall Mode. Man tauscht alte Betten gegen Kanarienvögel und Nippsachen, Porzellan gegen Wurst, Schmuck gegen Kartoffeln, Möbel gegen Brot, Klaviere gegen Schinken, gebrauchte Rasierklingen gegen Gemüseabfall, alte Pelze gegen umgearbeitete Militärjacken und den Nachlaß Verstorbener gegen Lebensmittel. Georg hatte vor vier Wochen sogar eine Chance, einen fast neuen Smoking beim Verkauf einer abgebrochenen Marmorsäule mit Fundament einzuhandeln. Er hat nur schweren Herzens darauf verzichtet, da er abergläubisch ist und glaubt, in den Sachen der Toten bleibe lange Zeit noch etwas von den Toten zurück. Die Witwe erklärte ihm, sie habe den Smoking chemisch reinigen lassen; er sei damit also eigentlich vollkommen neu, und man hätte annehmen können, daß die Chlordämpfe den Verstorbenen aus jeder Falte vertrieben hätten. Georg schwankte sehr, denn der Smoking paßte ihm; er verzichtete dann aber trotzdem.
      Ich drücke die Klinke des Ladens nieder. Die Tür ist verschlossen. Natürlich, denke ich und starre hungrig durch das Fenster auf die Auslagen. Müde gehe ich schließlich nach Hause. Auf dem Hof stehen sechs kleine Sandsteinplatten. Sie sind noch jungfräulich, kein Name ist auf sie eingehauen. Kurt Bach hat sie angefertigt. Es ist zwar eine Schändung seines Talentes, da es gewöhnliche Steinmetzarbeit ist, aber wir haben im Augenblick keine Aufräge für sterbende Löwen und Kriegerdenkmäler – deshalb arbeitet Kurt auf Vorrat sehr kleine, billige Platten, die wir immer brauchen, zumal jetzt bis im Herbst, wo es, wie im Frühjahr, wieder ein großes Sterben geben wird. Grippe, Hunger, schlechte Kost und mangelnde Widerstandskraf werden dafür sorgen.
      Gedämpf summen die Nähmaschinen hinter der Haustür der Familie Knopf. Durch das Glasfenster der Tür dringt das Licht vom Wohnzimmer, in dem die Trauerkleider genäht werden. Das Fenster des alten Knopf ist dunkel. Wahrscheinlich ist er schon tot. Wir sollten ihm den schwarzen Obelisken aufs Grab setzen, denke ich, diesen finsteren Steinfinger, der aus der Erde in den Himmel zeigt. Für Knopf war er eine zweite Heimat, und verkaufen haben ja bereits zwei Generationen von Krolls den dunklen Ankläger nicht können.

    Ich gehe ins Büro. «Komm herein!» ruf Georg, der mich gehört hat, aus seinem Zimmer.
    Ich öffne die Tür und staune. Georg sitzt im Lehnstuhl, wie
    üblich, die Zeitschrifen mit Bildern vor sich. Der wöchentliche Lesezirkel der eleganten Welt, dem er angehört, hat ihm gerade neues Futter gebracht. Das aber ist nicht alles – er sitzt da im Smoking, mit einem gestärkten Hemd und sogar einer weißen Weste, ein Bild wie aus der Zeitschrif: Der Junggeselle. «Also doch!» sage ich. «Du hast die Mahnung deiner Instinkte der Vergnügungssucht geopfert. Der Smoking der Witwe!»
      «Keineswegs!» Georg räkelt sich selbstgefällig. «Was du hier siehst, ist ein Beispiel dafür, wie sehr uns Frauen im Einfall überlegen sind. Es ist ein

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