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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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brachte es dann ganz zur Krise – verstehen Sie jetzt?»
      «Nein.»
      «Aber es ist doch so einfach», sagt Wernicke ungeduldig. «Schwer war nur, an den Kern heranzukommen, aber jetzt –» er reibt sich die Hände. «Dazu haben wir nun noch das Glück, daß der zweite Mann, der vorherige Hausfreund, Ralph oder Rudolph oder so ähnlich hieß er, jetzt nicht mehr blockierend da ist. Geschieden vor drei Monaten, vor zwei Wochen Autounfall, tot – die Ursache ist also beseitigt, der Weg ist frei – jetzt müssen Sie doch endlich kapieren?»
      «Ja», sage ich und möchte dem fröhlichen Wissenschafler einen Chloroformlappen in den Rachen stopfen.
      «Na, sehen Sie! Jetzt kommt es auf die Auslösung an. Die Mutter, die plötzlich keine Rivalin mehr ist, die Begegnung, sorgfältig vorbereitet – ich arbeite schon seit einer Woche daran, und alles geht sehr gut, Sie haben ja gesehen, daß Fräulein Terhoven heute abend schon wieder zur Andacht gegangen ist –»
      «Sie meinen, Sie haben sie bekehrt? Sie, der Atheist, und nicht Bodendiek?»
      «Unsinn!» sagt Wernicke, etwas ärgerlich über meinen Stumpfsinn. «Darauf kommt es doch nicht an! Ich meine, daß sie aufgeschlossener wird, zugänglicher, freier – haben Sie das denn nicht auch gemerkt, als Sie das letztemal hier waren?»
      «Ja.»
      «Na sehen Sie!» Wernicke reibt sich wieder die Hände.
      «Das war nach dem ersten starken Schock doch ein recht erfreuliches Ergebnis –»
      «War der Schock nun auch ein Ergebnis Ihrer Behandlung?»
      «Er gehört dazu.»
      Ich denke an Isabelle in ihrem Zimmer. «Gratuliere», sage ich.
      Wernicke merkt die Ironie nicht, so sehr ist er bei der Sache. «Die erste flüchtige Begegnung und die Behandlung haben natürlich alles zurückgebracht; das war ja auch die Absicht – aber seitdem – ich habe große Hoffnungen! Sie verstehen, daß ich jetzt nichts brauchen kann, was ablenken könnte –»
      «Das verstehe ich. Nicht mich.»
      Wernicke nickt. «Ich wußte, daß Sie es verstehen würden! Sie haben ja auch etwas von der Neugier des Wissenschaflers. Eine Zeitlang waren Sie sehr brauchbar, aber jetzt – was ist los mit
    Ihnen? Ist Ihnen zu heiß?»
    «Es ist die Zigarre. Zu stark.»
      «Im Gegenteil!» erklärt der unermüdliche Wissenschafler. «Diese Brasils sehen stark aus – sind aber das Leichteste, was es gibt.»
      Das ist manches, denke ich, und lege das Kraut weg. «Das menschliche Gehirn!» sagt Wernicke fast schwärmerisch.
      «Früher wollte ich mal Matrose und Abenteurer und Forscher im Urwald werden – lachhaf! Das größte Abenteuer steckt hier!»
      Er klopf sich an die Stirn. «Ich glaube, ich habe Ihnen das schon früher einmal erklärt.»
      «Ja», sage ich. «Schon of.»

    Die grünen Schalen der Kastanien rascheln unter meinen Füßen. Verliebt wie ein Mondkalb, denke ich, was versteht dieser Tatsachenkaffer schon darunter? Wenn es so einfach wäre! Ich gehe zum Tor und streife fast an eine Frau, die mir langsam entgegenkommt. Sie trägt eine Pelzstola und gehört nicht zur Anstalt. Ich sehe ein blasses verwischtes Gesicht im Dunkeln, und ein Ruch von Parfüm weht hinter ihr her. «Wer war das?» frage ich den Wächter am Ausgang.
      «Eine Dame für Doktor Wernicke. War schon ein paarmal hier. Hat, glaub’ ich, einen Patienten hier.»
      Die Mutter, denke ich und hoffe, daß es nicht so sei. Ich bleibe draußen stehen und starre zur Anstalt hinüber. Wut packt mich, Zorn, lächerlich gewesen zu sein, und dann ein erbärmliches Mitleid mit mir selber – aber schließlich bleibt nichts als Hilflosigkeit. Ich lehne mich an eine Kastanie und fühle den kühlen Stamm und weiß nicht, was ich will und was ich möchte.
      Ich gehe weiter, und während ich gehe, wird es besser. Laß sie
    reden, Isabelle, denke ich, laß sie lachen über uns als Mondkälber! Du süßes, geliebtes Leben, du fliegendes, ungehemmtes, das da sicher trat, wo andere versinken, das schwebte, wo andere mit Kanonenstiefeln trampeln, aber das sich verstrickte und blutig riß in Spinnenfäden und an Grenzen, die die anderen nicht sehen – was wollen sie nur von dir? Wozu müssen sie dich so gierig zurückreißen wollen in ihre Welt, in unsere Welt, warum lassen sie dir nicht dein Schmetterlingsdasein jenseits von Ursache und Wirkung und Zeit und Tod? Ist es Eifersucht? Ist es Ahnungslosigkeit? Oder ist es wahr, was Wernicke sagt, daß er dich retten muß davor, daß

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