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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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summt einsam weiter. «Beethoven», sagt er kurz und summt wieder, eine einzelne musikalische Biene.
      Aber plötzlich ist es, als ob Windharfen ihn aus unendlicher Ferne begleiteten. Wir horchen auf. Es klingt wie ein Wunder – aber Engel scheinen tatsächlich mitzusummen, Engel im ersten und zweiten Tenor und in den beiden Bässen. Sie umschmeicheln und umgaukeln Bodo und werden deutlicher, je weiter wir kommen, und als wir um die Kirche biegen, können wir die fliegenden, körperlosen Stimmen sogar verstehen. Sie singen «Heil’ge Nacht, o gieße du –», und an der nächsten Ecke erkennen wir, woher sie kommen: aus der Polizeiwache, in der Bodos verhafete Kameraden furchtlos stehen und weitersingen, ohne sich um etwas zu kümmern. Bodo als Dirigent tritt zwischen sie, als wäre das die alltäglichste Sache von der Welt, und weiter geht es: «Schenk dem müden Pilger Ruh –»
      «Herr Kroll, was soll das?» fragt der Vorsteher der Wache perplex.
      «Es ist die Macht der Musik», erwidert Georg. «Ein Abschiedsständchen für einen Menschen, der in die Welt hinausgeht. Harmlos und eigentlich zu fördern.»
      «Das ist alles?»
      «Das ist alles.»
      «Es ist nächtliche Ruhestörung», erklärt einer der Verhafer.
      «Wäre es auch nächtliche Ruhestörung, wenn sie ,Deutschland, Deutschland über alles‘ sängen?» frage ich ihn.
      «Das wäre was anderes!»
      «Wer singt, stiehlt nicht, mordet nicht und versucht nicht, die Regierung zu stürzen», erklärt Georg dem Vorsteher der Wache. «Wollen Sie den ganzen Chor einsperren, weil er das alles nicht tut?»
      «Werf sie raus!» zetert der Vorsteher. «Aber sie sollen jetzt ruhig bleiben.»
      «Sie werden ruhig bleiben. Sie sind kein Preuße, wie?»
      «Franke.»
      «Das dachte ich mir», sagt Georg.

    Wir stehen am Bahnhof. Es ist windig, und niemand ist außer uns auf dem Perron. «Du wirst mich besuchen, Georg», sage ich. «Ich werde alles daransetzen, die Frauen deiner Träume kennenzulernen. Zwei bis drei werden für dich da sein, wenn du kommst.»
      «Ich komme.»
      Ich weiß, daß er nicht kommen wird. «Du bist es allein schon deinem Smoking schuldig», sage ich. «Wo sonst könntest du ihn anziehen?»
      «Das ist wahr.»
      Der Zug bohrt ein paar glühende Augen in das Dunkel.
      «Halte die Fahne hoch, Georg! Du weißt, wir sind unsterblich.»
      «Das sind wir. Und du, laß dich nicht unterkriegen. Du bist so of gerettet worden, daß du die Verpflichtung hast, weiter durchzukommen.»
      «Klar», sage ich. «Schon der andern wegen, die nicht gerettet wurden. Schon Valentins wegen.»
    «Unsinn. Einfach, weil du lebst.»
      Der Zug braust in die Halle, als warteten fünfundert Leute auf ihn. Aber nur ich warte. Ich suche ein Abteil und steige ein. Das Abteil riecht nach Schlaf und Menschen. Ich ziehe das Fenster im Gang auf und lehne mich hinaus. «Wenn man etwas aufgibt, braucht man es nicht zu verlieren», sagt Georg. «Nur Idioten tun das.»
      «Wer redet schon von Verlieren», erwidere ich, während der Zug anzieht. «Da wir sowieso am Ende verlieren, können wir uns erlauben, vorher zu siegen wie die gefleckten Waldaffen.»
      «Siegen die immer?»
      «Ja – weil sie gar nicht wissen, was das ist.»
      Der Zug rollt bereits. Ich fühle Georgs Hand. Sie ist zu klein und zu weich, und in der Schlacht an der Pißbude hat sie Schrammen bekommen, die noch nicht heil sind. Der Zug wird schneller, Georg bleibt zurück, er ist plötzlich älter und blasser, als ich dachte, ich sehe nur noch seine blasse Hand und seinen blassen Kopf, und dann ist nichts mehr da als der Himmel und das fliegende Dunkel.
      Ich gehe in das Abteil. Ein Reisender mit einer Brille röchelt in einer Ecke; ein Förster in einer andern. In der dritten schnarcht ein fetter Mann mit einem Schnurrbart; in einer vierten gibt eine Frau mit Hängebacken und einem verrutschten Hut seufzende Triller von sich.
      Ich spüre den scharfen Hunger der Traurigkeit und öffne meinen Koffer, der im Gepäcknetz liegt. Frau Kroll hat mich mit belegten Butterbroten bis Berlin versehen. Ich fingere danach, finde sie aber nicht und hole den Koffer aus dem Netz. Die Frau mit dem verrutschten Hut und den Trillern erwacht, sieht mich wütend an und trillert gleich darauf herausfordernd weiter. Ich sehe, weshalb ich die Butterbrote nicht gefunden habe. Georgs Smoking liegt darüber. Er hat ihn wahrscheinlich eingepackt, während

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