Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Mit so einem großen Haus und so vielen Kellnern! Sie müssen ein glücklicher Mensch sein! So reich und begabt
dazu.»
«Es geht, es geht!» Eduards Gesicht glänzt. «So, Künstlerin, Sie auch –»
Ich sehe, wie er von einem plötzlichen Mißtrauen erfaßt wird. Der Schatten Renée de la Tours gleitet ohne Zweifel vorüber, wie eine Wolke über den Mond. «Seriöse Künstlerin, nehme ich an», sagt er.
«Seriöser als du», erwidere ich. «Fräulein Schneider ist auch keine Sängerin, wie du gerade geglaubt hast. Sie kann Löwen durch Reifen jagen und auf Tigern reiten. Und nun vergiß den Polizisten, der in dir, als echtem Sohn unseres geliebten Vaterlandes, steckt, und tisch auf!»
«So, Löwen und Tiger!» Eduards Augen haben sich geweitet. «Ist das wahr?» fragt er Gerda. «Dieser Mensch dort lügt so of.»
Ich trete ihr unter dem Tisch auf den Fuß. «Ich war im Zirkus», erwidert Gerda, die nicht versteht, was dabei so interessant ist. «Und ich gehe wieder zum Zirkus zurück.»
«Was gibt es zu essen, Eduard?» frage ich ungeduldig. «Oder müssen wir erst einen ganzen Lebenslauf in vier Ausfertigungen einreichen?»
«Ich werde einmal persönlich nachsehen», sagt Eduard galant zu Gerda. «Für solche Gäste! Der Zauber der Manege! Ah! Verzeihen Sie Herrn Bodmer sein erratisches Benehmen. Er ist unter Torfauern im Kriege aufgewachsen und hat seine Erziehung einem hysterischen Briefräger zu verdanken.»
Er watschelt davon. «Ein stattlicher Mann», erklärt Gerda. «Ist er verheiratet?»
«Er war es. Seine Frau ist ihm davongelaufen, weil er so geizig ist.»
Gerda befühlt den Damast des Tischtuches. «Sie muß eine dumme Person gewesen sein», sagt sie träumerisch. «Ich habe sparsame Leute gern. Sie halten ihr Geld zusammen.»
«Das ist in der Inflation das Dümmste, was es gibt.»
«Man muß es natürlich gut anlegen.» Gerda betrachtet die schwer versilberten Messer und Gabeln. «Ich glaube, dein Freund hier macht das schon richtig – auch wenn er ein Poet ist.»
Ich sehe sie leicht überrascht an. «Das mag sein», sage ich. «Aber andere haben nichts davon. Am wenigsten seine Frau. Die ließ er von morgens bis nachts schufen. Verheiratet sein heißt bei Eduard: umsonst für ihn arbeiten.»
Gerda lächelt ungewiß wie die Mona Lisa. «Jeder Geldschrank hat seine Nummer, weißt du das noch nicht, Baby?»
Ich starre sie an. Was ist hier los? denke ich. Ist das noch dieselbe Person, mit der ich gestern im Gartenrestaurant «Zur schönen Aussicht» für bescheidene fünfausend Mark Butterbrote mit dicker Milch gegessen und über den Zauber des einfachen Lebens gesprochen habe? «Eduard ist fett, schmutzig und unheilbar geizig», erkläre ich fest. «Und ich weiß das seit vielen Jahren.»
Der Frauenkenner Riesenfeld hat mir einmal gesagt, diese Kombination schrecke jede Frau ab. Aber Gerda scheint keine gewöhnliche Frau zu sein. Sie mustert die großen Kronleuchter, die wie durchsichtige Stalaktiten von der Decke hängen, und bleibt beim Tema. «Wahrscheinlich braucht er jemand, der auf ihn achtgibt. Nicht wie eine Henne natürlich! Er scheint jemand zu brauchen, der seine guten Eigenschafen würdigt.»
Ich bin jetzt offen alarmiert. Geht mein friedliches Zweiwochenglück bereits auf Wanderschaf? Wozu mußte ich es auch an die Stätte des Silbers und Kristalls schleppen!
«Eduard hat keine guten Eigenschafen», sage ich.
Gerda lächelt wieder. «Jeder Mann hat welche. Man muß sie ihm nur klarmachen.»
In diesem Augenblick erscheint zum Glück der Kellner Freid ank und trägt pompös auf einer silbernen Platte eine Pastete heran. «Was ist denn das?» frage ich.
«Leberpastete», erklärt Freidank hochmütig.
«Auf dem Menü steht aber doch Kartoffelsuppe!»
«Dies ist das Menü, das Herr Knobloch selbst bestimmt haben», sagt Freidank, der ehemalige Fouriergefreite, und teilt zwei Stücke ab – ein dickes für Gerda, ein dünnes für mich. «Oder wollen Sie lieber die verfassungsgemäße Kartoffelsuppe?» erkundigt er sich kordial. «Kann gemacht werden.»
Gerda lacht. Ich will gerade, erbost über den billigen Versuch Eduards, sie mit Fressen zu kapern, die Kartoffelsuppe verlangen, als Gerda mich unter dem Tisch anstößt. Über dem Tisch wechselt sie graziös die Teller und gibt mir das größte Stück. «So gehört sich das», sagt sie zu Freidank. «Ein Mann muß immer das
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